• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 45

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zum 15 Kilometer entfernten Strausberg, am schönen Straussee gelegen. Hier trifft er
sich mit Fräulein Braden. Und so beginnt der mehrseitige Brief, den Ditzen am 16. Mai
1932 nach Hamburg schickt – den Ort, an dem er und Suse am 5. April 1929 geheiratet
hatten – mit den Worten: »Liebe Suse, liebe, liebe Suse, eben komme ich von Straus-
berg zurück und finde Deinen Eilbrief vor. Ich bin auch durch den Garten gegangen,
es ist kurz nach zehn Uhr und habe unsere Gemüse angesehen, was da wächst!« Nach-
dem Ditzen sich über die Größe der Radieschen ausgelassen hat, beginnt er seine scho-
nungslose und ebenso schamlose Offenbarung: »Es wird Dir hoffentlich das Herz
nicht schwer machen, wenn ich Dir sage, dass ich diese zwei Tage mit Fräulein Braden
in Strausberg war. Wenn wir von Anfang an anfangen, so ging es damit los, dass ich
am Sonnabend Morgen mit Lore
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zu Fräulein Braden ging. Sie erzählte mir so aller-
lei, dass sie so down wäre, irgendein Freund hatte sie gerade in der vorhergehenden
Woche verlassen– sie sieht übrigens ganz ungewohnt aus, eher klein und schmal, mit
einer Brille, eine Lehrerin, aber eine nette Lehrerin. Dann kam der Rundgang durch
die Lokale, wir wurden alle ein bisschen duhn und gingen dann zusammen zu Lore
und schließlich gingen Braden und ich zusammen schlafen. (Ich weiß keinen andern
Namen für sie, ich kenne sie auch nicht anders.) Sie war so glücklich, es hat sie wirklich
froh gemacht, sie ist ein kleines einsames Wesen–und auch Lore war so glücklich. Ihr
einziges Bedenken warst Du. Ich habe gesagt: Ach Suse, die versteht das schon. Da
brauchst Du Dich nicht zu sorgen, Lore. – Ja, wenn Du dessen sicher bist, sagt sie. Und
nun, da ich Dir dies schreibe, bin ich nicht einmal ganz sicher, vielleicht tut es Dir doch
weh, aber das muss es nicht tun, für mich war es nicht viel, wenn ich sie nie wiederseh,
mir tut es nicht weh. Sie ist natürlich ein bisserl verliebt, aber in der Hauptsache bin
ich doch ein Trost für anderes für sie gewesen, und sie hat mir manche Dinge gesagt,
die Du manchmal sicher schon empfunden hast.« Es folgen weitere Beschreibungen
vom anderen Fallada, er denkt an »unsern Uli«, er denkt sehr an Suse, »meine große
kleine Musch« . »Ich bin ein schlechter, alberner, dummer Mensch […] Es gibt Irr-
wege, Umwege, Abwege […] Es ist alles ein bisschen schwach bei mir jetzt, ein bisschen
krank«. Unvermittelt fährt er fort: »Wann brauchst Du Geld? Schreib es gleich.«Der
Brief an seine Frau endet nach all dem Auf und Ab mit dem Bemerkung: »Nein, ich
will ganz ehrlich sein, ich denk in dieser Stunde auch an die kleine Braden, die in ihr
Zimmerchen zurückgefahren ist«, und als handschriftlichen Zusatz: »O meine Suse,
o meine Suse, es ist doch nicht nur schlimmes, schwieriges Leben, das ich Dir bereite?«
Die Schnelligkeit des Briefwechsels ist erstaunlich. Einen Tag nach der Langform
schreibt er erneut, diesmal an die »liebste Suse«: »Du wirst es schon richtig verstehen.
Es ist nicht so wichtig, es ist sogar komisch, es ist noch keine vierundzwanzig Stunden
her, dass wir uns trennten–Braden und ich –, und schon ist es sehr weit weg, es waren
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