• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 53

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Erkrankungen des Nervensystems (Hysterie, Neurasthenie, Neurosen, Lähmungen,
Neuralgie), Herzaffektionen, Frauenleiden.
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Alles in allem das absolut Richtige, was
Rowohlt hier für Ditzen, die schwangere Suse und Uli empfohlen hatte.
Von der zweitenMaiwoche bis zum 20. Juni 1933 erholten sich die Ditzens imMärki-
schen Sanatorium. Hier erreicht sie auch der Kagelmacher-Brief vom 27. Mai, »auf
den wir schon lange gewartet hatten«, wie Ditzen am 6. Juni 1933 aus Waldsieversdorf
dankend schreibt. Der leidende Autor berichtet nun ausführlicher über sein Gemüt:
»Ich liege nämlich noch immer krank, nachdem ich die Pfingsttage über fest im Bett
liegen musste, habe ich heute wieder einen kurzen Versuch gemacht aufzustehen und
diktiere Ihnen diesen Brief. Ich habe vor ungefähr vier Wochen einen völligen Nerven-
zusammenbruch gehabt und habe immer noch Rückfälle, dabei treten Erscheinungen
auf, wie ich sie imAlter von zwanzig Jahren hatte nach einem großen Ereignis, von dem
Sie wissen. Ich habe aber das Gefühl, dass ich diese Erscheinungen in Kürze überwun-
den haben werde.« Am 6. Mai »infolge dieses vielen Tuns etwas zusammengeklappt«
und weiter am 6. Juni »vor ungefähr vier Wochen einen völligen Nervenzusammen-
bruch gehabt«.
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Wie lassen sich Ditzens Zustandsbeschreibungen einordnen? Waren
es die Ereignisse im Fürstenwalder Gefängnis, gab es andere Ursachen, die Ditzen ver-
anlassen, von »zusammengeklappt« bis zum »völligen Nervenzusammenbruch« zu
sprechen? Eigenartig erscheint in diesem Zusammenhang die Rückbesinnung auf die
»Erscheinungen« von vor zwanzig Jahren, auch theatralisch vom damaligen »großen
Ereignis« zu sprechen. Für das »große Ereignis«wurde dem konstitutionellen Psycho-
pathen seinerzeit der § 51
StGB
zuerkannt. Die Folge: Aufenthalt in der Heil- und
Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Tannenfeld.
Nunmehr befindet Ditzen sich in einem Sanatorium und nicht in einer Heilanstalt.
Unklar, ob ein Arzt imMärkischen Sanatorium die Diagnose Nervenzusammenbruch
gestellt hat. Allem Anschein nach war es Ditzen selbst, der seinen Zustand wie oft so
einschätzte. Unterlagen über ihn aus dieser Zeit ließen sich in Waldsieversdorf nicht
mehr auffinden. Nervenzusammenbruch, kein ärztlicher Begriff, stellt eine laienhafte
Umschreibung eines plötzlichen Versagens infolge nervöser Erschöpfung dar. Viele
Ursachen können angeführt werden: plötzlich einsetzende abnorme Erlebnisreak-
tionen, geistige Überarbeitung, wenig Nachtschlaf, Genussgifte wie Alkohol und
Nikotin. Als Heilfaktoren standen in Waldsieversdorf »Psychotherapie; streng indi-
vidualisierende Diät; Luft- und Sonnenbäder; Wasserheilverfahren in allen Formen;
Massage; Radium-Behandlung« zur Verfügung. Auch dass Ditzens Familie mit im
Sanatorium Aufnahme fand, entsprach durchaus den Kriterien eines solchen Hauses.
In dem jährlich erscheinenden
Jahrbuch der ärztlich geleitetenHeilanstalten und Privat-
kliniken Deutschlands,
das vom Verband Deutscher Ärztlicher Heilanstalts-Besitzer
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