• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 63

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sozialistischen Parteiprogramms beinhaltete die Rauschgiftbekämpfung zur Hebung
der »Volksgesundheit«. Die Bezeichnung Rauschgiftkonsum, Rauschgiftsucht oder
Suchtpersönlichkeit führte zu »erbbiologischer Minderwertigkeit« und schließlich
zur Diagnose Psychopath.
Viele der Drogenkonsumenten stiegen damals, wenn sie konnten, auf Barbiturate,
auf rezeptfreie Schlafmittel wie Veronal, Luminal oder Phanodorm um. Aber auch die-
se Stoffe stellten »volksschädliche Laster« dar und standen unter Beobachtung. Ärzte
und Apotheker waren gewarnt, vertraten aber, da zunehmend selbst Mitglieder der
NSDAP
, deren Ideologie. Vor diesemHintergrund ist auch das Verhalten des Patienten
Ditzen zu sehen. Vielleicht war es sogar ratsam, so wenig wie möglich von seiner eige-
nen Vergangenheit und der aktuellen Situation Dr. Schwalb gegenüber zu enthüllen.
Der Blick auf die Krankenblattkurve für klinische Beobachtung des West-Sanatori-
ums verrät, wie es umDitzen bestellt war. Bei einemKörpergewicht von 70,7 kg wurde
einBlutdruck von 130/75 notiert. Vom»Höllenzeug«Dilaudidwurde zugunsten einer
Schlafkur Abstand genommen. Die hierbei eingesetzten Präparate gingen in ihrer
Gesamtwirkung noch über das »Höllenzeug« hinaus. Ditzens vorgebrachte Skepsis
im Brief an Suse vom 6. Mai war nachvollziehbar, wenn er über die »alberne Depres-
sion«, die noch immer nicht weggehe, schreibt. Für die Behandlung von originären
Depressionen, die nach aktueller Klassifikation mit den Symptomen Traurigkeit, in-
nere Spannung, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Un-
Krankenzimmer im West-Sanatorium
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