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Müller-Waldeck stellte Annemarie Steiner auch folgende Frage: »Gab es politische
Gespräche […] kam es zu politischen Wertungen?« Auf Hitlers Ruhm, seine Populari-
tät, auf die Situation nach der Olympiade ging Steiner in ihrer Antwort ein und: » [...]
von KZs wusste man nichts […] Ja, Fallada hat sich positiv mir gegenüber zum Natio-
nalsozialismus geäußert. Aber ich muss nun einschränkend sagen, dass er ja auch mei-
ne positive Einstellung kannte […] Von seiner SA-Haft hat er jedenfalls nichts erzählt
[…] Insgesamt war seine Einstellung zumNationalsozialismus wohl zwiespältig, und es
muss da Vorbehalte gegeben haben.« In Hohenlychen wird Ditzen sehr wohl die nati-
onalsozialistische Atmosphäre wahrgenommen haben, auch wenn seine Gefühle mehr
von Annemarie Steiners Person beherrscht wurden. Vom 15 Kilometer entfernten, im
Mai 1939 gebauten Konzentrationslager Ravensbrück wollen also weder er noch Stei-
ner bei ihren Treffen in Hohenlychen etwas wahrgenommen haben.
Hohenlychen hatte viele Gesichter,
Pechvogel und Glückskind
war nur eines davon.
Im ruhigen Carwitz schreibt Ditzen derweil, auch im Namen von Suse, am 30. Juli
1939 einen Brief an Dr. Eduard Burlage und gratuliert »dem lieben Ede« zur Verlo-
bung mit Fräulein Marianne Schmitz.
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Des Weiteren berichtet er, »am vergangenen
Freitag haben wir Willis in Pyrmont besucht. Der Dicke hatte schon 15 Pfund verlo-
ren, und es war staunenswert, wie gut er sich dabei fühlte, wie lebhaft und frisch er
trotz der Fasterei war, und wie leicht er ging […] Er geht mit dem Gedanken um, ein
Jahr lang ganz vegetarisch zu leben und dem Bier zu entsagen«.
AllemAnschein nach hatte »der Dicke«, Wilhelm Burlage, nach seiner Rückkehr
aus Bad Pyrmont Ditzen wohl auch geraten, seinen Lebensstil zu ändern. Denn die-
ser schrieb am 8. November 1939 an seine »liebe Mutti […] übrigens wollte ich Dir
schon länger mitteilen, dass Du einen schlankeren Sohn hast! Mein ständig wachsen-
der Bauch war mir doch recht hinderlich, bei der geringsten Anstrengung schnaufte
ich. So habe ich mich einer etwas geringeren Nahrungsaufnahme befleißigt, und seit
3 Wochen mache ich wöchentlich einen Apfeltag, an dem bis zum Abendessen nichts
wie Äpfel gegessen werden. Ich habe bereits 14½ Pfund abgenommen.«
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Bei Burla-
ge traf in der Tat die Bezeichnung »der Dicke« zu, allein wenn man sich das Foto
in Carwitz 1938 anschaut, auf dem er und Ditzen zu sehen sind. An seine Mutter
schreibt Ditzen, »es bekommt mir ganz gut […] Mir wird es ziemlich sauer, aber ich
finde, es muss sein«. Während Burlages in Pyrmont weilten, hatten sich ab 7. August
1939 Ditzens in deren Wohnung in Berlin einquartiert. Sie konnten den »ein biss-
chen vereinsamten« Uli umsorgen und waren wegen Mückes Rachenmandeln in
der HNO-Klinik der Charité bei Professor Hermann Barth. »Barth«, so Ditzen am
12. August 1939 an Burlage, »war wieder großartig […] die Rachenmandelgeschichte
wundervoll ausgestanden«. Im selben Brief aus Carwitz bedankt sich Ditzen, lobt
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