• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 80

300
Ditzen befand sich nun in der Gesellschaft von unzurechnungsfähigen Rechts-
brechern. Er weiß aus früheren Zeiten, wie es um zurechnungsfähige und unzurech-
nungsfähige Menschen bestellt ist: Zuerkennung des § 51
StGB
mit anschließender psy-
chiatrischer Verwahrung, Nicht-Zuerkennung des § 51
StGB
mit Gefängnis. Seit dem
1. Januar 1934 war allerdings das in Kraft getreten, wofür sowohl Ditzens Vater Wil-
helm als auch Wilhelm Burlages Vater Eduard und viele ihrer Kollegen vom Reichsge-
richt in Leipzig jahrelang diskutiert und gestritten hatten: der § 51
StGB
mit Absatz 1
und Absatz 2, Zurechnungsfähigkeit und verminderte Zurechnungsfähigkeit, im
Nachhinein als Gewohnheitsverbrechergesetz bezeichnet. Der Nachfolger von Bon-
hoeffer in der Nervenklinik der Charité de Crinis hatte 1938 in einem Artikel
Gericht-
liche Psychiatrie
über verminderte Zurechnungsfähigkeit geschrieben: »Durch die
neue Fassung des Absatzes 2 des Paragrafen 51 ist die Forderung vieler Sachverständiger
und Juristen erfüllt worden. Während jedoch durch die früheren Strafgesetzentwürfe
die Persönlichkeit des Täters in den Vordergrund gestellt und vor allem für diesen eine
Strafmilderung gefordert wurde, rückt der nationalsozialistische Staat die Interessen
der Volksgemeinschaft in den Vordergrund.«
8
Psychopathen gehörten, wenn es sich
bei ihnen auch noch um gefährliche Gewohnheitsverbrecher handelte, nicht zu dem
Personenkreis, die unter den Absatz 2 des § 51 fielen.
All die Personen, die sich nunmehr mit dem Fall des Angeklagten Ditzen beschäf-
tigten, wussten um die Gesetzeslage, wussten, wie es um Ditzen im aktuellen Fall
stand–und das alles vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit. Von daher ist ver-
ständlich, dass bereits am 6. September 1944 der Rechtsanwalt und Notar Dr. Hans
Rehwoldt aus Neustrelitz, der Ditzen schon bei dessen Scheidung vertreten hatte, in
der Strafsache gegen den Schriftsteller Rudolf Ditzen beim Amtsgericht Neustrelitz
als erstes die Aufhebung des Unterbringungsbefehls beantragte. Man möge den Ange-
klagten auf freien Fuß setzen. Rehwoldts Begründung: »Der Angeklagte ist unter dem
Künstlernamen Hans Fallada einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen
Schriftsteller. Schon diese Tatsache zeigt, dass er nicht zurechnungsunfähig oder auch
nur vermindert zurechnungsfähig ist. Dass es sich nicht um eine einseitige künstleri-
sche Begabung handelt, sondern dass der Angeklagte auch seine geschäftlichen Ange-
legenheiten, darunter seine umfangreiche und schwierige Buchhaltung, z. B. mit aus-
ländischen Verlagen, alleine führt, zeigt ebenfalls seine volle Zurechnungsfähigkeit.«
9
Und schließlich: »Der Angeklagte, der sich in der Landesanstalt Strelitz befindet, lei-
det naturgemäß unter der Einschließung in einer Heilanstalt, als geistig hochstehender
Künstler [sogar] mehr als [viele] andere.«DieWörter »sogar« und »viele« sind vom
Anwalt zur Verstärkung seiner Aussage noch in Handschrift hinzugefügt worden. Ab-
schließend beantragt er, dass »1. Professor Zutt, 2. Oberarzt Dr. Heinze, 3. Geheimrat
1...,70,71,72,73,74,75,76,77,78,79 81,82,83,84,85,86,87,88,89,90,...136
Powered by FlippingBook