• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 88

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chiaters als in eine Strafanstalt gehört, wenn man bei ihm einen Erfolg erzielen will.
Ich habe mir bei ihm, der nie genügend lange, sondern stets nur wenige Wochen in
Anstaltsbehandlung war – abgesehen von der Anstaltsunterbringung in seiner Ju-
gend–psychotherapeutisch einige Mühe gegeben und möchte diese Bemühungen
gern zum erfolgreichen Abschluss bringen.
gez. Hecker
Medizinalrat.«
Heckers wohl durchdachte und ausgewogene Formulierungen ließen keinen ande-
ren Schluss zu, als dass bei Ditzen die Unterbringungszeit zur Besserung geführt hat
und dass eine Gefahr für die Öffentlichkeit in der Tat nicht besteht. Der Psychiater
Hecker bemüht sich auch um die Nachsorge von Ditzen. Damit erfüllte Hecker in
schwierigen Zeiten für die »Volksgesundheit« eine wichtige Aufgabe. Psychothera-
peutische Bemühungen waren in solchen Institutionen, denen Hecker angehörte,
damals ungewöhnlich. Überhaupt hatte die Psychotherapie, die Hecker hier vertrat,
einen von Berlin ausgehenden diffizilen Hintergrund. Die Mitglieder der im Winter-
halbjahr 1927/28 gegründeten Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie, zu deren
Vorstandsmitgliedern u. a.
J.H
. Schultz gehörte, wählten 1929 Ernst Kretschmer
20
zu
ihrem Vorsitzenden. Am 6. April 1933 legte der aus politischen Gründen sein Amt
nieder. Professor Dr. med. et jur. Matthias Heinrich Göring hieß der neue Mann, der
am 15. September 1933 sein Amt als Vorsitzender einer neuen Deutschen allgemeinen
ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie antrat. Der 1879 geborene
M.H.
Göring,
seit 1933
NSDAP
-Mitglied, Nervenarzt und Vetter von Hermann Göring, war nun-
mehr der »Reichsführer« der deutschen Seelenheilkunde.
1936 wurde das Deutsche Institut für Psychologische Forschung und Psychothera-
pie gegründet. Göring übernahm die Leitung des in der Keithstraße 41 in Berlin be-
heimateten Instituts. Seine Aufgabe bestand u. a. darin, den deutschen Ärzten im
Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung eine seelenärztliche Heilkunst zu
vermitteln. Allen Mitgliedern wurde zudem nahegelegt, Hitlers
Mein Kampf
»mit
wissenschaftlichem Ernst durchzuarbeiten«. Im sogenannten Göring-Institut wur-
den Psychotherapeuten im entsprechenden Sinne ausgebildet und unterrichtet. Hier
sprach u. a. im April 1944 ein Dr. med. Harald Schultz-Hencke über
Das Problem der
Psychopathie
. Schultz-Hencke, am 18. August 1892 in Berlin geboren, war in Fachkrei-
sen durch mehrere Publikationen kein Unbekannter. 1927 hatte er eine
Einführung in
die Psychoanalyse
, 1931
Schicksal und Neurose
und 1940
Der gehemmte Mensch
vorge-
legt. In seinem Vortrag setzte er sich vor allem kritisch mit dem Psychopathie-Begriff
von Kurt Schneider auseinander, dessen Buch
Die psychopathischen Persönlichkeiten
1943 gerade in 6. Auflage erschienen war.
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