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lung sind ebenfalls in die Erfassungsaktion der T4-Ärzte mit einbezogen. Sie alle hat
Dr. Hecker nebenamtlich zu betreuen.«
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In dieser sich mehr und mehr verschärfenden Situation erhält Hecker in seiner
Funktion als Anstaltsarzt der Strafanstalt vom Oberstaatsanwalt in Neustrelitz am
9. September 1944 den Auftrag, über einen Rudolf Ditzen eine gutachterliche Stel-
lungnahme bezüglich der Anwendung des § 51 Absatz 1 oder 2 abzugeben. Es war die
Reaktion auf den am 8. September 1944 vom Landgericht Neustrelitz zurückgewie-
senen Antrag von Anwalt Dr. Rehwoldt, Ditzen frei zu bekommen und über dessen
Geisteszustand die Meinung von Professor Zutt, Oberarzt Dr. Heinze und Professor
Bonhoeffer einzuholen. Hinzu kommt, dass dem Oberstaatsanwalt von Neustrelitz
aus Berlin immer noch keine Antwort auf sein Schreiben vom 1. September 1944 an
die Kuranstalten Westend vorliegt, in dem er um eine gutachterliche Äußerung über
Ditzen gebeten hatte. Hecker ist sich seiner schwierigen Aufgabe bewusst. Ganz un-
bekannt war ihm die Person Ditzen auch nicht. Kuhnke berichtete 2005 über ein
Gespräch, das er 1999 mit dem Sohn von Dr. Hecker, Karl-Andreas Hecker, geführt
hatte. Der wusste »nicht mit Bestimmtheit«, ob sein Vater in seiner Eigenschaft als
Kreisarzt über Ditzen ein Gutachten erstellt hatte, bevor dieser 1943 mit dem
RAD
nach Frankreich fuhr. Der Sohn erinnert sich jedoch deutlich daran, dass er mit seinem
Vater dreimal in Carwitz war, als dieser Ditzen besuchte.
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Und es gibt noch eine weitere Information von Karl-Andreas Hecker, die dieser in
einem Brief vom 3. Januar 2011 an Ditzens Sohn Achim kundtut. Sie ist in diesem Zu-
sammenhang von besonderer Bedeutung. Er berichtet, dass seine Mutter ihm erzählt
habe, »dass nach Einrichtung des
KZ
s [Ravensbrück 1939] die Gestapo Amtsträger
aus demLandkreis zur Besichtigung eingeladen habe. Zu den Geladenen gehörte auch
mein Vater – damals Oberarzt an der Heilanstalt Domjüch/Frauenabteilung. Mein
Vater habe über die Besichtigung berichtet: Gezeigt seien nur die ›Funktionsräume‹
nicht jedoch die Bereiche, in denen die Schutzhäftlinge sich aufzuhalten hatten. Ab-
schließend habe mein Vater gesagt: Er würde, soviel an ihm läge, keinen Menschen
nach Ravensbrück überweisen bzw. eine Überweisung empfehlen.«
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Der Sohn von
Dr. Hecker erzählt, dass seinen Vater die große Sorge umtrieb, »dass man Ditzen
ins
KZ
Ravensbrück bringen und ihn dort totschlagen würde«, weil, wie ihm seine
Mutter berichtete, Ditzen »in den Augen einiger Parteileute das Maß an Verhaltens-
auffälligkeit weit überschritten hatte«. Es ist nachzuvollziehen, warum sich damals
Dr. Hecker nicht nur wegen seiner vielfältigen Arbeitsaufgaben für die gutachterliche
Stellungnahme Zeit ließ.
Zwischendurch bekommt Dr. Hecker vom Oberstaatsanwalt aus Neustrelitz ein
Schreiben zugestellt, das aus Berlin kommend dort eingetroffen war. Zutt hatte ge-
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