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Verbündete in der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz –
Der § 51 Abs. 2 StGB – Dr. Hecker
Die Tage nach der Scheidung von Anna und Rudolf Ditzen am 5. Juli 1944 bekamen in
Carwitz einen eigenwilligen Charakter. Die Parteien wohnten auf dem gleichen Anwe-
sen, man begegnete sich, die Kinder wurden versorgt. Uli berichtete dem lieben Papa,
der lieben Mummi von der Fahrt »nach dem Osten« – Eberswalde, Frankfurt/Oder,
Meseritz bis nach Neuhöfchen, um hier mit seinen Kameraden Gräben auszuschau-
feln für den Endsieg. Das Hauspersonal ging seinen Beschäftigungen nach. Ditzen
nahm seine Arbeit an dem Romanprojekt
Kutisker
wieder auf. Von Depression – trotz
aller Belastung – keine Rede. Die Fallada-Biografen berichten zu diesem Zeitpunkt
übereinstimmend von einer hübschen, begüterten 22-jährigenWitwe mit Tochter, die
Ditzen in Feldberg kennen und alsbald lieben lernte. Unter welchen Voraussetzungen
dies geschah, wird unterschiedlich beschrieben. Tatsache ist, dass Suse rasch von der
Existenz der am 5. April 1921 in Berlin-Schöneberg geborenen Ursula Mara Helene
Agnes Losch, genannt Ulla, geborene Boltzenthal erfährt. Ulla war seit 1940 mit dem
1899 geborenen Maler Kurt Losch, verheiratet, der als Kaufmann mit Seifenwaren sein
Geld verdiente. Die gemeinsame Tochter Jutta wurde am 5. September 1939 geboren.
Seit dem 7. Mai 1944 war Ulla Losch Witwe.
In ihrem Aussehen und Wesen unterscheidet sich die junge Witwe sehr von Suse.
Ditzen fühlt sich unverhohlen zu ihr hingezogen. Die Carwitzer und Feldberger Ein-
wohner, die Flüchtlinge, die nationalsozialistischen Verantwortungsträger haben in-
mitten von Krieg, Hunger und Not ein der Abwechslung dienendes Gesprächsthema.
Hinter dieser neuen Fassade in Carwitz brodelt es. Der Konflikt lässt nicht lange auf
sich warten. Am 28. August 1944 entlädt er sich. Es kommt zum sogenannten Mord-
versuch, der natürlich keiner war, so die Aussage von Anna Ditzen gegenüber Günter
Caspar vom Aufbau Verlag am 13. Dezember 1967. Caspar lieferte sie eine Schilderung
der damaligen Abläufe. »Wir wohnten nach unserer Scheidung beide noch imCarwit-
zer Haus. Fallada stand in dieser Zeit ständig unter Alkoholeinfluss […] um mich zu
treffen, gab er einen Schuss aus einem Tesching
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in der Richtung, wo ich stand, ab. Da
ich auch ziemlich amEnde meiner Nervenkraft war, telefonierte ich darauf mit unserm
Arzt, der genau wusste, wie es um F. stand. Dieser ließ ihn nach Feldberg holen und
in Gewahrsam nehmen, wollte ihn erstmal gründlich ausnüchtern lassen. Keinesfalls
war es die Absicht des Arztes, ihn zur Anzeige zu bringen. Aber unglücklicherweise
war gerade an dem Tag ein junger, forscher, nazistischer Staatsanwalt in Feldberg, der
davon hörte und die Sache in die Hand nahm. Fallada kam darauf in die Landesanstalt
Alt-Strelitz und wurde zu 3½ Monaten Haft verurteilt.«
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