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Von Feldberg und Carwitz liegt Hohenlychen nur wenige Kilometer entfernt, ebenso
von Fürstenberg an der Havel. Bekannt machte Hohenlychen Geheimrat Professor
Dr. Gotthold Pannwitz (1861 – 1926), der Begründer der Volksheilstätten des Roten
Kreuzes zur Bekämpfung der damals um sich greifenden Tuberkulose. Über die Lebens-
geschichte dieses Mannes und über die Geschichte der Heilanstalten in Hohenlychen
von 1902 – 1945 hat der ortsansässige Hans Waltrich sachkundig und ausführlich be-
richtet.
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Ab 1903 wurden hier nach und nach Erholungsheime, die Hohenlychener Heil-
stätten, gebaut. 1906 errichtete man das Bahnhofshotel, das spätere Kurhotel, wo
Ditzen logierte, um sich 1938/39 anonymmit Annemarie Steiner zu treffen. Während
des Ersten Weltkrieges nutzte man die Einrichtungen als Lazarett. Ab 1933 erfolgte
die Übernahme der Gebäude durch die Nationalsozialisten. Am 1. November 1933
ernannten die Offiziellen den 1887 geborenen Dr. med. Karl Gebhardt, der sich ge-
rade 1932 in München im Fach Chirurgie habilitiert hatte, zum Chefarzt der Ortho-
pädischen Heilanstalten Hohenlychen. Gebhardt, Schüler von Professor Sauerbruch
und Schulfreund von
SS
-Reichsführer Heinrich Himmler in Landshut in Bayern,
war seit 1933 Mitglied der
NSDAP
und der
SS
. Unter seiner Leitung kam es zu ei-
nem rasanten Aus- und Umbau der Heilstätten zum sogenannten Reichssport-
sanatorium. 1936 wurde ein
SS
-Krankenhaus, das auch als
SS
-Lazarett dienen sollte,
errichtet. Es gab zudem Privatstationen für Gebhardts Patienten und Erholungssu-
chende – allesamt
SS
-,
NS
-Partei- und Wehrmachtsprominenz. Hohenlychen avan-
cierte zu einerTreff- undBehandlungsstätte u. a. vonHitlers Stellvertreter RudolfHeß
(1884 – 1987), Reichsführer
SS
Heinrich Himmler (1900 – 1945),
NSDAP
-Dogmati-
ker und Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Alfred Rosenberg (1893 – 1946)
und Hitlers Stararchitekt und Rüstungsorganisator Albert Speer (1905 – 1989). Hit-
ler stattete der Einrichtung bereits 1935 einen Besuch ab. Zu den
XI
. Olympischen
Spielen 1936 in Berlin übernahm Gebhardt die ärztliche Leitung. Wegen seiner »Ver-
dienste« berief ihn die Medizinischen Fakultät der Charité im Dezember 1937 zum
ordentlichen Professor für Sportmedizin. Die Achse Hohenlychen –Charité Berlin
nutzte Gebhardt planvoll, so zu dem ebenfalls 1937 ernannten Professor für Orthopä-
dische Chirurgie, dem 1888 geborenen Lothar Kreuz, seit 1933 Mitglied der
NSDAP
,
später
SS
-Obersturmbannführer und 1940/41 sowie 1941/42 Dekan der Medizini-
schen Fakultät der Charité.
In diese Hochburg Hohenlychen, deren Gebäude ständig –wie zeitgenössische
Aufnahmen zeigen – mit langen Hakenkreuzfahnen behängt und von
SS
-Angehöri-
gen und »Volksgenossen« bevölkert waren, kam 1938 die 18-jährige, zur Führungs-
spitze der Sudetendeutschen Volksjugend gehörende Marianne Portisch für ein Vier-
1...,59,60,61,62,63,64,65,66,67,68 70,71,72,73,74,75,76,77,78,79,...136
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