• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 68

230
Anonym in Hohenlychen
In der lokalen
Märkischen Oderzeitung
–und nicht nur dort – ist am 30. März 2010 un-
ter der Überschrift
Weitgehend unbekanntes Fallada-Märchen veröffentlicht
zu lesen:
»Greifswald/Friedland. Mit einem bislang weitgehend unbekannten Märchen von
Hans Fallada (1893 – 1947) hat der Steffen-Verlag im mecklenburgischen Friedland
sein Literatur-Repertoire über den 1893 in Greifswald geborenen Schriftsteller erwei-
tert. Das kürzlich auf der Buchmesse in Leipzig von Falladas Sohn Achim Ditzen prä-
sentierte Märchen
Pechvogel und Glückskind
sei erst vor 15 Jahren in einem Privatbesitz
entdeckt worden, sagte Herausgeber Gunnar Müller-Waldeck in Greifswald.« Und
weiter heißt es: »Fallada, der mit bürgerlichem Namen Rudolf Ditzen hieß, hatte das
Stück um 1938/39 geschrieben. Während eines Sanatoriumsaufenthalts in Hohenly-
chen habe der damals 46-Jährige im Februar 1939 das Märchen der gerade erst 19 Jahre
alt gewordenen Autorin Marianne Portisch (verh. Wintersteiner, 1920– 2003) ge-
schenkt, mit der er bis 1940 eine kurze, schwärmerische Liebesbeziehung unterhalten
habe, sagte Müller-Waldeck. […] Zentrales Thema der von Fallada aufgeschriebenen
und teilweise autobiografische Züge tragenden Geschichte sei die persönliche Suche
nach dem Glück. Das Stück reflektiert die Zeitsituation wie auch die damals bedrü-
ckende persönliche Lage des Autors.«
Der Greifswalder Germanist Professor Dr. Müller-Waldeck
1
hatte mit jener damals
19-jährigen Autorin Marianne Portisch, die nun unter dem Pseudonym Annemarie
Steiner lebte, 1994 ein Gespräch geführt. Der Wortlaut wurde im Jahre 2000 unter
dem Titel
Er war ein Ermunterer, Gespräch mit Annemarie Steiner
im
Hans-Fallada-
Jahrbuch Nr. 3
abgedruckt.
2
Wann sich Ditzen und Steiner 1938/39 genau trafen, hier-
zu finden sich im Arbeitskalender von Ditzen wohlweislich keine Angaben, so wie
auch die sonst üblichen Durchschläge von Briefen nicht existieren, die Ditzen wohl an
die junge Dame schrieb. Völlige Anonymität hatten beide für Hohenlychen vereinbart,
und das hatte seine Gründe. Von den Fallada-Biografen konnte erst Williams – mit
Bezug auf Müller-Waldeck–den neu entdeckten Zusammenhang im 7. Kapitel ihrer
Biografie,
1939
1944. Carwitz ein Alptraum
, verarbeiten: »In demMaße, wie sich das
Verhältnis zu seiner Frau verschlechterte, suchte Ditzen Wärme und Freundschaft bei
anderen Frauen. Die Romanschriftstellerin Annemarie Steiner, die Ditzen 1938 ken-
nenlernte und für die er das Märchen ›Pechvogel und Glückskind‹ schrieb, ist nur
eines von vielen Beispielen.«
3
In Hohenlychen ging es Ditzen aber nicht nur umWär-
me und Freundschaft einer Frau, es ging ihm um Anerkennung bei gegenseitiger Be-
wunderung in einer politisch brisanten Zeit, an einem noch brisanteren Ort. Hohen-
lychen, neben Lychen gelegen, ist ein Teil der wunderbaren Lychener Seenlandschaft.
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72,73,74,75,76,77,78,...136
Powered by FlippingBook