• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 71

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ihr auch anders verstanden als von seiner Frau. Für die junge Frau jedenfalls war er
ein »Ermunterer«. Und wie so oft in Ditzens Leben, verfällt er im Gespräch mit ihr
in sein Leidens- und Mitleidverhalten und öffnet sich ihr gegenüber in vertrauter
Weise. Steiner berichtet: »Wenn ich mich recht erinnere, war es so: Zu der Zeit, als
wir uns dort kennen lernten, hatte er Schwierigkeiten daheim insofern, als Besuch da
war –Verwandtschaft von Frau Ditzen–der ihn störte. Also, um ruhig zu schlafen, so
hat er mir einmal gesagt, ginge er öfter irgendwo anders hin. In ein Sanatorium. In
Hohenlychen nahm er sich ein Privatzimmer, und mir war das natürlich sehr lieb. Wir
haben uns dann öfters sprechen können. Das Kurhotel, wo wir uns getroffen haben
und wo er wohl auch mal gewohnt hat, existiert noch […] Später besuchte er mich
in Hohenlychen per Rad– aus sportlichen Gründen–um abzunehmen, einige Male
per Boot über die Schleusen, aber wohl meistens mit dem Taxi.« Aber, so Steiner, die
Treffen seien völlig anonym gewesen, und fügt hinzu, allerdings »ein kleiner Kreis
meiner Zimmergenossinnen, die wussten das schon«. Wie ihren Angaben weiter zu
entnehmen ist, hat Ditzen die junge Frau bei deren zweitem Aufenthalt 1939, als sie
sich erneut einer Operation am Knie –»das transplantierte Kreuzband [war] wieder
gerissen«–unterziehen musste, sogar zu einem Kurzbesuch nach Carwitz eingeladen,
»aber Anna Ditzen habe ich nicht zu Gesicht bekommen«. Selbst später in Berlin gab
es noch einige anonym gehaltene Treffen.
Verdienen schon diese Informationen Aufmerksamkeit, so ergeben sich auch auf-
schlussreiche Schlussfolgerungen daraus, wie Ditzen gegenüber Steiner sein Leben
darstellt. Ein Beispiel hierfür ist die Duellgeschichte, die er Steiner ganz anders er-
zählte: »daran kann ich mich genau erinnern. […] Er hatte einen wirklich sehr gu-
ten Freund, Necker. Und das ganze Duell war eine Art romantische Spielerei. Wenn
jetzt jemand behauptet, sie hätten sich da eine Schleife an die Brust geheftet, dann aus
einem gegenteiligen Grund: Da hin, wo dieser rote Fleck leuchtete, durfte man auf
keinen Fall schießen. Und als es zu diesem schrecklichen Unglück kam, war er völlig
verstört, weil man schon bei den ersten Verhören den beiden Buben Selbstmordabsich-
ten in die Schuhe geschoben hat. Und das – so hat er mir erzählt –wäre absolut nicht
der Fall gewesen. […] Das war eine außerordentlich unglückselige Spielerei, nicht eine
Selbstmordabsicht!«Ditzen habe dann »völlig geschwiegen […] keine Antwort mehr
gegeben […] kam damals in ein Sanatorium […] fand sich aber selber völlig normal«.
Über die Gefängnisaufenthalte ist zu erfahren, dass er »zwar wegen Unterschlagung«
dort war, aber »dass er das absichtlich getan hätte, weil er seine Ruhe haben wollte. Er
war nervlich überbeansprucht, hatte Schwierigkeiten da, wo er tätig war, und wollte
einfach abschalten. Er hat also diese Unterschlagung aus dem Grunde begangen, dass
er eingesperrt wird und seine Ruhe hat«. Steiner beschreibt in diesem Zusammen-
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