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tätigkeit, Gefühllosigkeit, pessimistische und Suizidgedanken einhergehen, oder der
Manisch-Depressiven Krankheit, standen den Ärzten damals nicht die Medikamente
zur Verfügung, wie sie heute vielfältig in der Psychiatrie zum Einsatz kommen. Erst ab
1952 kam mit dem Chlorpromazin oder Largactil ein spezifisches Psychopharmakon
auf den Markt. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war die sogenannte Opiumkur
mit auf- und absteigenden Dosen die Behandlung depressiver Erkrankungen schlecht-
hin. Das Wesen dieser psychischen Störung konnte zwar vielfach und unterschiedlich
beschrieben werden. Was sie im Kern aber bedeutete, war den Ärzten und Psychiatern
weitgehend noch unbekannt.
In dem ganzen damaligen Dilemma einer sachbezogenen Therapie kommt einem
Mitarbeiter der von Professor Dr. Eugen Bleuler (1857– 1939) geleiteten berühmten
Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich das Verdienst zu, neue Wege
beschritten zu haben. Jakob Klaesi (1883 – 1980) sammelte 1920 Erfahrungen darin,
mit dem von der Firma F. Hoffmann–La Roche &
Co. AG
Berlin hergestellten Som-
nifen Patienten, die unter motorischer Erregung, Angstzuständen, Schlaflosigkeit, De-
pression oder Schizophrenie litten, in eine Dauernarkose, einen künstlichen Schlaf zu
versetzen.
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Und eben eine solche Schlafkur wurde bei Ditzen im West-Sanatorium ab
dem 2. Mai 1935 abends in Gang gesetzt.
Erfahrenen Ärzten war das therapeutische Risiko, das von der Schlafkur ausgehen
konnte, bekannt. In Fachbüchern gab es Hinweise, wie bei der Kur zu verfahren war.
Der langjährige Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik der Charité, nun-
mehr Chef der II. Inneren Abteilung des Horst-Wessel-Krankenhauses, so der dama-
lige Name des Berliner Krankenhauses im Friedrichshain, Professor Dr. Heinz Kalk
(1895 – 1973), war der Herausgeber eines bereits in mehreren Auflagen erschienenen
und weit verbreiteten Buches
Die Therapie an den Berliner Universitäts-Kliniken
. Die
Kapitel
Therapie der Nervenkrankheiten
und
Therapie der Psychosen und Psychoneurosen
waren von Prof. Dr. Kurt Albrecht
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, Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik
der Charité bei Bonhoeffer, bearbeitet worden. Die Durchführung einer Schlafkur
wurde von Albrecht detailliert beschrieben.
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»Während dieser Dauernarkose sind
wegen der Schluckstörungen nur flüssige Kost, regelmäßige Kontrolle der täglichen
Urinmenge und Untersuchungen auf Eiweiß notwendig. An die Dauernarkose muss
sich eine psychotherapeutische Behandlung anschließen […] Die Anwendung dieser
Dauernarkose ist auch für die plötzliche Morphiumentziehung empfohlen worden,
um den unter den Abstinenzerscheinungen leidenden Patienten über die schwersten
Tage hinwegzuhelfen.«
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Es lässt sich heute nicht mehr belegen, welche Indikation Dr. Schwalb für die Schlaf-
kur bei Ditzen favorisierte. Sollte er übermäßig das Morphiumpräparat Dilaudid von
1...,54,55,56,57,58,59,60,61,62,63 65,66,67,68,69,70,71,72,73,74,...136
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