• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 55

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lich in ein eigenes Heim einziehen, in demwir die Tür zumachen können und die Welt
draußen sein lassen können, was sie will«.
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Bis Ditzen seine Tür hinter sich schließen kann, vergeht allerdings einige Zeit, Um-
bauarbeiten an der Bündnerei in Carwitz stehen an. Seine Frau liegt nach der Entbind-
ung mit einer Thrombose noch im Krankenhaus, er nimmt vorerst Quartier im Hotel
Deutsches Haus im nahegelegenen Feldberg. Von hier berichtet Ditzen am 26. August
1933 an seine Schwester Dete ausführlich über die zurückliegenden Geschehnisse. Opti-
mistisch schaut er in die Zukunft: »Wenn ich ein oder zwei Jahre noch gut verdiene,
werden wir da in einem kleinen Paradies sitzen.« Es folgt ein Absatz und er fährt un-
vermittelt in seinem Brief fort: »Ich habe ja inzwischen wieder einen kleinen Nerven-
kollaps gehabt und bin zu den Übernahmeverhandlungen hierher wie ein Halbtoter
gekommen.« Dann lobt er die Mecklenburger Luft und das Essen, um nach diesen
wenigen Worten und der Nervenkollaps-Information fortzufahren: »Und jetzt fange
ich sogar schon wieder an, an meinem Roman herumzubasteln, diesem grausigen
Dings von 800 Druckseiten […] Als nächstes will ich dann eine ganz kurze Geschichte
schreiben, 140 Druckseiten etwa, der Titel sagt genug:
Wir hatten mal ein Kind.
«
Über Einzelheiten zum»Nervenkollaps« erfahren wir nichts. Es war ja ein »kleiner«.
Wie üblich kokettiert er mit seinen Leiden. Die Wortwahl hierzu wechselt: »zusam-
mengeklappt«, »völliger Nervenzusammenbruch«, »Nervenkollaps«. Nie berichtet
Ditzen ausführlich darüber, es bleibt bei seinen dürftigen Einschätzungen. Diagnosen
aus der Hand eines Arztes gibt es nicht. Sollte es sich bei dem »kleinen Nervenkol-
laps« um jenen Vorfall handeln, den Ditzen in seinem Buch
Heute bei uns zu Haus
beschreibt? Jene nun schon zur Legende gewordene Abfolge der »Behandlung« eines
ununterbrochenen Schluckens. »Der Arzt hatte mir Eisstückchen mit etwas Kognak
dagegen verordnet, eine sehr erwünschte Verordnung, denn nun konnte ich schon am
frühen Vormittag Kognak trinken.« Ditzen schreibt weiter von seinem Freund Peter
Zingler aus dem Verlag, der mit ihm nach Mecklenburg fahren will zu einem Makler.
»Ich bin krank, ich kann unmöglich fahren, stöhnte ich, immer wieder von Schluck-
en unterbrochen. Eben war der Arzt hier. Ich soll immerzu dies Zeug trinken.« Dies
Zeug war der Kognak. Man fuhr im Auto, »zwischen uns war die Kognakflasche …
Aber weiter weiß ich auch von dieser Fahrt fast nichts, da ist ein großes Loch in mei-
nemGedächtnis.«
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War es der »kleine Nervenkollaps«, von dem er seiner Schwester
berichtete, der dazu geführt hatte, dass er zu den Übernahmeverhandlungen seines
Anwesens wie ein Halbtoter gekommen war? Eines der vielen Beispiele aus Falladas
Büchern, in denen Dichtung und Wahrheit einander ablösen oder sich vermischen.
Am 21. Juli 1933 wird die Bündnerei in Carwitz Ditzens Eigentum. Am 7. Oktober
1933 bezieht die Familie ihr neues Heim. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
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