• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 51

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laubnis, im Gefängnis zu rauchen, kaum gezügelt werden. Durch Rowohlts Beziehun-
gen schaltet sich der Rechtsanwalt Dr. Sack ein. Ditzen kommt am Sonnabend, dem
22. April 1933, wieder frei. Es war, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, sein drit-
ter Gefängnisaufenthalt. Die wenigen Tage stellen eine nachhaltige Erfahrung ganz
anderer Art dar. Die Familie begibt sich umgehend weg vom Roten Krug nach Ber-
lin. Ditzens finden in der ihnen bekannten Pension Stössinger in der Lietzenburger
Straße 48 Unterkunft. Die Orientierungslosigkeit und Erschöpfung Ditzens aufgrund
des politischen und privaten Geschehens übersteigen die Kräfte seiner ohnehin wieder
leidendenPersönlichkeit. DieAbwehr besteht inGereiztheit undmaßlosemZigaretten-
verbrauch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Belastungen Ditzen erdrücken.
Am 6. Mai 1933 schickt er aus seinem Quartier in der Pension Stössinger an Kagel-
macher, der sich seit 1930 in Leipzig befindet, einen Brief. Lange habe er nichts von
sich hören lassen, so Ditzen. »Das liegt erstens daran, dass ich viel zu tun hatte, und
zweitens daran, dass ich infolge dieses vielen Tuns etwas zusammengeklappt bin und
nun im Bett liege.« Von den zurückliegenden dramatischen Ereignissen im April er-
wähnt Ditzen kein Wort. Vielmehr signalisiert er Kagelmacher, »dass ich Montag
schon weiterfahre, und wir wollen diesmal in die sogenannte Märkische Schweiz und
sehen, dass ich mich da ganz erhole, und dass Suse in Ruhe das Kommende abwartet«.
»Das Kommende« bestand in der für Juli/August erwarteten Geburt der bei Suse
diagnostizierten Zwillinge, der erfreulichen »Verdoppelung« in der Familie, »denn
wirtschaftliche Sorgen haben wir im Moment nicht […] Der ›Kleine Mann‹ geht
ausgezeichnet weiter, augenblicklich sind gerade die englische und die amerikanische
Ausgabe erschienen und scheinen erfolgreich zu sein«. Der eigentliche Zweck aber,
Kagelmacher nach langer Zeit einmal zu schreiben, waren nicht nur diese Mitteilungen.
Ditzen bat den »Rüganer Bauernjungen« von damals, seine »alten Künste […] wieder
hervorzusuchen und einige Horoskope zu berechnen. Vor allen Dingen möchten Suse
und ich gerne wissen, was die nächste Zeit noch mit uns vor hat. So ganz glatt ist es
nämlich bisher nicht gegangen«. Ditzen wollte aber nicht nur für sich und Suse Kagel-
machers astrologische Künste in Anspruch nehmen, er wollte auch »für Uli (geboren
14. 3. 30, 23 Uhr 48 in Berlin) und für die Zwillinge wissen, was ihnen bevorsteht«.
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Kagelmacher antwortet am 27. Mai 1933 aus Leipzig mit einem vierseitigen handge-
schriebenen Brief. »Lieber Ditzen, für Ihren Brief vielen Dank und für das schöne viele
Geld, konnte es gut gebrauchen. Die Ephemeriden
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sind nun hier und Ihr Horoskop
ist in Angriff genommen.« Der Hobby-Astrologe interpretiert »Dass Sie jetzt vor ein-
er entscheidenden Zeit Ihres Lebens stehen […] in Hinsicht auf geistige Arbeiten […]
Begonnen hat diese Periode bereits vor Monaten, wird sich aber noch stärker ausweiten,
falls es Ihnen gelingt, die freieren Strömungen voll einzufangen, die für Sie da sind«.
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