• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 54

136
und -Leiter herausgegeben wurde, priesen diese Einrichtungen mit Bild und Text für
die Nervenkranken an, die es sich leisten konnten. Der werbende Tenor »Der Aufent-
halt in einem Sanatorium bietet große Vorzüge«, vermittele »neue Anregung, Lebens-
lust und Hoffnung […] man sollte die Patienten lieber zu viel als zu wenig ins Sana-
torium schicken«, ist unüberhörbar. Objektive Aussagen, in welchem psychischen
Zustand Ditzen das Märkische Sanatorium vor seinem 40. Geburtstag verließ, liegen
nicht vor. Die Familie stellte sich auf die Entbindung der Zwillinge von Suse ein.
Am 12. Juli 1933 sitzt Rudolfs Vater Wilhelm Ditzen in seiner Wohnung in Leipzig
und schreibt trotz seines Alters in makelloser Buchstabenführung und exaktem Zeilen-
abstand an seinen Sohn: »Lieber Rudolf, zum 21. meine besten Wünsche […] Da der
21. Dein vierzigster Geburtstag ist, sage ich auch ein Wort über Vergangenheit und
Zukunft: Wir können nicht vergessen, aber wir können und wollen vergeben. Und
ohne Vorbehalt. Wir machen also den Abschlussstrich und beginnen die neue Rech-
nung. Dazu würde als Erstes gehören: Sehen, Besuchen, Kennenlernen. Wird zur Zeit
nicht ausführbar. Leider! Aber ich halte es für wichtig, für jetzt wenigstens unsere
Wünsche auszudrücken. In Treue Dein alter Vater W. Ditzen«.
25
Wann der am 12. Juli 1933 datierte Brief in Berlin in der Pension Stössinger, wo sich
die Ditzens seit dem 20. Juni befanden, ankam, ist nicht mehr feststellbar. Es existiert
auch kein Hinweis, ob der 40-Jährige auf den Brief seines Vaters geantwortet hat. Der
Inhalt des Briefes kommt einer inneren Wandlung gleich, die Vater Ditzen nach all
dem, was in den vergangenen Jahren geschehen war, seinem Sohn offenbart. Wilhelm
Ditzen hatte im April 1928 begonnen, seine Erinnerungen niederzuschreiben. Auf
156 Seiten ließ er sein Leben, Beruf und Familie vor dem geistigen Auge ablaufen, fand
liebevolle wie nüchterne Worte. Der Eintrag 1931 lautete: »Keine Reise! Elisabeth ist
immer noch krank. Ich zu alt!«. »1932. Ebenso.«Die Ereignisse und sein Alter hatten
Spuren hinterlassen. Der Wunsch nach »Sehen, Besuchen, Kennenlernen« ist nicht
mehr zu realisieren, das war ihm wohl bewusst. Er hoffte aber auf eine Wendung im
Leben des nun 40-jährigen Sohnes.
Die Veränderungen setzten am 18. Juli 1933 ein. Suse entbindet in einer Privatklinik
in der Nassauischen Straße 51 – 52 in Berlin-Wilmersdorf zwei Mädchen. Die erstgebo-
rene Lore ist wohlauf, die zweitgeborene Edith wird wenige Stunden später nicht mehr
am Leben sein. Die Zeit für eine Neuorientierung über den künftigen Wohnsitz der
Ditzens drängte. Berkenbrück ließ man ebenso hinter sich wie die Pension Stössinger.
Am 22. Juli 1933 schreibt Ditzen mit Stolz an die Eltern in Leipzig, dass er die »Bünd-
nerei Nr. 17 in Carwitz bei Bad Feldberg in Mecklenburg« gekauft habe. Wie schon
über den Roten Krug wird Ditzen auch über die Bündnerei in Carwitz seinen Eltern
eine schwärmerische und zugleich bildhafte Beschreibung liefern. Man werde »end-
1...,44,45,46,47,48,49,50,51,52,53 55,56,57,58,59,60,61,62,63,64,...136
Powered by FlippingBook