• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 56

138
Auch bei Burlage in der Bonhoefferschen Nervenklinik der Charité stehen Ver-
änderungen an. Zur gleichen Zeit, als sich Ditzen im Mai 1933 an Kagelmacher wand-
te, damit der ihm und seiner Familie aus dem Stand der Himmelskörper die Zukunft
prophezeien möge, reichte Burlage einen Lebenslauf beim Verwaltungsdirektor der
Charité ein. Bonhoeffer hatte dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbil-
dung durch die Charité-Direktion am 12. Mai vorgeschlagen, die am 1. Juli 1933 frei
werdende außerplanmäßige Assistentenstelle mit demVolontärarzt Dr. Burlage für ein
Jahr zu besetzen. »Sein Fleiß«, so der Direktor, »sein wissenschaftliches Interesse, wie
auch durch seine gute Art, mit den Kranken umzugehen«, waren die Gründe für den
Vorschlag. Drei Tage später erhält Bonhoeffer ein Schreiben vom Verwaltungsdirektor,
dass er neben dem Personalbogen einen Lebenslauf des Genannten beibringen möge.
Der Brief endet: »Ferner bitte ich um eine kurze Äußerung über die politische Einstel-
lung des Dr. Burlage.« Burlage verfasst am 20. Mai 1933 erneut einen Lebenslauf. Der
Inhalt beider Fassungen ist identisch bis auf zwei Einfügungen beim zweiten Leben-
slauf: »Ich bin rein arischer Abstammung« und »Wir waren zu fünf Brüdern an der
Front, zwei von ihnen sind gefallen«. Auf dem Personalbogen schreibt Burlage bei
»Rassenzugehörigkeit der vier Großeltern«: »Arisch.« Von anderer Hand wird dies
dick unterstrichen. Bonhoeffer schreibt am 22. Mai 1933 separat: »Herr Dr. Burlage
hat – wie er mir mitteilt – bisher auf dem politischen Boden der Zentrumsfraktion
gestanden.« Unter dem 24. Mai 1933 beantwortet Bonhoeffer eine weitere von der
Charité-Direktion erbetene Einschätzung: »Nach seiner bisherigen politischen Betäti-
gung bietetHerr Dr. Burlage dieGewähr dafür, dass er sich jederzeit rückhaltlos für den
nationalen Staat einsetzt.«
28
Bonhoeffer schreibt vom »nationalen Staat«, nicht vom
»nationalsozialistischen Staat« – er wusste um den inhaltlichen Unterschied seiner
Formulierungen! Burlages Trennung von seiner FrauHildegard
29
aus der Verlagsfamilie
Hirzel in Leipzig findet weder in dem einen noch in einem anderen Schriftstück Er-
wähnung. Der Hirzel Verlag galt nunmehr als jüdischer Verlag. Es sollte nicht lange
dauern, bis Heinrich Hirzel, der Bruder von Hildegard Burlage, der seinerzeit Burlage
in den Verlag geholt hatte, wegen der antijüdischen Rassengesetze als Gesellschafter
ausscheiden musste. All dies veranlasste wohl die Charité-Direktion, mit Nachdruck
die jetzige politische Einstellung Dr. Burlages in Erfahrung zu bringen.
Am 7. April 1933 war das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von
denNationalsozialisten erlassenworden. Es richtete sichgegen andersdenkendeWissen-
schaftler und Intellektuelle, vor allem aber gegen jene jüdischer Abstammung. An den
Universitäten bedeutete es den Entzug der Lehrbefugnis. Die »Entjudung« betraf
auch die Charité und die Bonhoeffersche Nervenklinik. So erhielt Franz Kramer Post
vom Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Mit Datum
1...,46,47,48,49,50,51,52,53,54,55 57,58,59,60,61,62,63,64,65,66,...136
Powered by FlippingBook