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Der Nervenkollaps nimmt seinen Lauf
Es war eine stürmische und kritische Zeit für den freien Schriftsteller Ditzen, die nach
dem 18. Oktober 1931 angebrochen war. Sein Roman
Kleiner Mann –was nun?
lag ab
18. Juni 1932als gedrucktesBuch inseinenHänden. Jetzt, nachdemderVorabdruck inder
Vossischen Zeitung
lief, das Buch reißenden Absatz fand, Übersetzungen in viele Spra-
chen erfolgten, das Drehbuch für einen Film zu erarbeiten war, von einemWelterfolg
gesprochen wurde und das Geld reichlich einging, sah sich Rudolf Ditzen wirklich
als ein Hans (Fallada) im Glück. Zur gleichen Zeit bemühte sich sein Schulfreund
Dr. Wilhelm Burlage um eine Neuausrichtung seines Lebens. Am 12. September 1931
schrieb er aus Heidelberg, Kronprinzenstraße 25, einen Brief an Geheimrat Professor
Dr. Karl Bonhoeffer, Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité, und
erlaubte sich »die höfliche Anfrage, vom 1. Oktober ab als Volontärassistent in Ihrer
Klinik arbeiten zu können«. Burlage räumte ein, seine psychiatrische Ausbildung sei
mangelhaft, die allgemeinmedizinische aber gut. Er berichtete über die Ausbildung in
Pathologie inMünchen vomHerbst 1920 bis zumFrühjahr 1923, und schrieb: »Damals
hab ich die Medizin verlassen, um in den Verlagsbuchhandel – S. Hirzel, Leipzig –
überzugehen. Anfang vorigen Jahres bin ich zur Medizin zurückgekehrt. Nach-
dem ich einige Monate an der Wiener psychiatrischen Klinik volontiert hatte, ging
ich nach Heidelberg. Anfang dieses Jahres, um mich theoretisch in das Gebiet der Psy-
chologie einzuarbeiten.« Burlages Bitte um eine Stelle bei Bonhoeffer endet mit dem
Satz: »Ich fahre in diesen Tagen nach Berlin und werde bei meinem Bruder wohnen.
Darf ich Sie deswegen bitten, Ihre Antwort an Oberregierungsrat Dr. Max Burlage
1
,
Preußisch.- Landwirtschaftsministerium, Leipziger Platz 10 zu adressieren?«
2
Bonhoeffer reichte Burlages Brief am 17. September 1931 mit einem handschrift-
lichen Vermerk an Professor Franz Kramer weiter: »Lieber Herr College Kramer, ich
habe dem Collegen geschrieben, er soll sich an Sie wenden. Ich weiß im Augenblick
nicht, wie viel Voranmeldungen sind. Vielleicht sehen Sie ihn auch auf Eignung an.
Besten Gruß, Ihr B.«
3
Franz Kramer war die rechte Hand Bonhoeffers in der Klinik. Der 1878 in Breslau
Geborene hatte dort bei Bonhoeffer habilitiert. Mit ihm ging er 1912 an die Nerven-
klinik der Charité. Hier entfaltete Kramer eine umfangreiche wissenschaftliche Akti-
vität zu Fragen der Neurologie, Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, insbe-
sondere des Studiums der Psychopathen. Kramer war ein vielseitig interessierter Mann
und Menschenkenner. Auf Wunsch Bonhoeffers lud er Burlage ein. In einem längeren
Gespräch berichtete der von seiner Herkunft, von seinem Vater, dem Reichsgerichtsrat,
der politisch die Ideen der Zentrumspartei vertrat, vom eigenen Kriegseinsatz, vom
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