• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 38

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Abonnenten- und Annoncenwerber beim
General-Anzeiger für Neumünster, demNach-
richten- und Tageblatt für Schleswig-Holstein
und ab 1. Januar 1929 beim Wirtschafts-
und Verkehrsverein Neumünster. Es scheint eine Zeit anzubrechen, von der Crepon
schreibt: »Rudolf Ditzen hat seinen inneren Frieden gefunden; alle Gifte der Welt
sind fern und ohne Reiz für ihn.«
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Mit Stolz berichtet Ditzen Kagelmacher, dessen
Ehe 1926 in die Brüche gegangen war, von Anna, aber Suse genannt, setzt in Klam-
mern hinzu: »Sie kennt meine Vergangenheit.« Auch seine Eltern informiert er
am 16. Februar 1929: »Fräulein Anna Issel, die ich Suse nenne, ist 27 Jahre alt, sieht
gut aus, ist ein gebildeter, offener, mutiger Mensch, die es mit mir wagen will, trotz-
dem ich sie natürlich über nichts in meiner Vergangenheit ununterrichtet gelassen
habe.«
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Die Mutter reagiert umgehend: »Ich war nach allem Erlebten so fest davon
überzeugt, dass Du nicht heiraten würdest, dass Deine innere Unruhe, Deine kritische
Art und Deine Unbeständigkeit Dir in einer Ehe kein Glück bringen würden, und
auch der nicht, die Du erwähltest […] Nach Deiner impulsiven Art hast Du Dich über
diese schweren Bedenken schnell hinweggesetzt.«
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Es sind sorgenvolle, mahnende
und zugleich nachdenklich machende Worte, die vom mütterlichen Instinkt getragen
sind. Denn wer kennt sein Kind und den Sohn besser als eine Mutter? Und sie kannte
ihre Kinder: ihre Töchter, den gefallenen Sohn Ulrich und ihr Sorgenkind Rudolf.
Sie wusste um seine Wesenseigenschaften, die Unheil bringend das Leben von Rudolf
bislang mit begleiteten. Die Angst, die über die Eltern hereinzubrechen drohte, nach
Sohn Ulrich nun auch Rudolf für immer zu verlieren, war groß. Die Mutter hielt sich
vermutlich die Vergangenheit vor Augen – die Ereignisse in Jena, die Aufenthalte in
Anstalten, Nikotin, Morphium, Alkohol, schon einmal die Frage nach Entmündigung,
Unterschlagung und Gefängnis. Und jetzt die Heirat!
Aber wer kann die Verhaltensweisen eines Menschen wie Rudolf schon umfassend
erklären? Binswanger hat es auf seine Art getan, Ziemke unlängst Ditzen als entarteten
Psychopathen bezeichnet. Wäre Kurt Schneider der Gutachter gewesen, hätte er Dit-
zen wohl als psychopathische Persönlichkeit bezeichnet, die an ihrer Abnormität lei-
det oder unter deren Abnormität die Gesellschaft, d. h. auch Ditzens Familie leidet.
Kommen Alkohol und Drogen, Zigaretten ohnehin, dazu, kann das Leiden in Krank-
heit einmünden. Krankheit aber bedarf konsequenter ärztlicher Behandlung, wenn
Behandlungsbereitschaft erkennbar ist. Ein Weg, den Ditzen in Tannenfeld oder
Carlsfeld beschritten hat, der aber stets unvollendet blieb. Auch in Zukunft wird ein
solches Verhalten oftmals sein selbstgewolltes Schicksal bestimmen. Die Persönlich-
keit eines Ditzen wird sich nicht ändern, die fachlichen Einschätzungen anderer über
ihn aber schon! Als ob Ditzen eine Vorahnung hat, schreibt er am 26. Februar 1929:
»Liebe, liebe Suse, hab mich nicht zu lieb. Sonst wird einmal die Enttäuschung gar zu
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