• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 34

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Schlussfolgerungen. Der p. Ditzen gehört in die Kategorie der Psychopathen, bei
denen sich die Anfänge einer krankhaften psychischen Entwicklung bis in die Kind-
heit zurückverfolgen lassen. Vor allem fällt auf die ungleichmäßige Entwicklung der
geistigen Fähigkeiten mit einseitiger Hervorkehrung phantastischer, gewissermaßen
künstlerisch-literarischer Begabung bei gleichzeitiger Entwicklungshemmung auf an-
deren Gebieten. Dazu gesellt sich eine krankhafte affektive Reaktion gegen die Vorgän-
ge der Umwelt, die ihn zu einem eigentümlichen, verschlossenen, unzufriedenen und
unsozialen Menschen schufen, einen Menschen, der infolge der einseitigen Hervor-
kehrung egocentrischer Denkrichtung mit Überbewertung der eigenen Persönlichkeit
als hochmütig galt.
Diese Züge konstitutioneller psychopathischer Beschaffenheit finden wir erfah-
rungsgemäß in verschiedenster Schärfe und Ausprägung recht häufig für sich allein vor.
Sie erschweren ihrem unglücklichen Träger die Daseinsbedingungen und führen oft
zu einem völligen Misslingen der Aufgaben des Lebens. Sie sind aber vom praktisch-
psychiatrischen Standpunkt aus betrachtet durchaus nicht ausreichend, um ihren Trä-
ger für geistig krank zu erklären. Die ›Grenzzustände‹ zwischen geistiger Gesundheit
und Krankheit umfassen im Wesentlichen Individuen dieser abnormen psychischen
Beschaffenheit. Vom psychiatrisch-anthropologischen Standpunkt aus werden sie der
Kategorie der
degenerativen konstitutionellen Psychopathen
zugezählt.
Zur Annahme einer wirklichen geistigen Störung, welche die Handlungen dieser
Psychopathen entscheidend beeinflusst, müssen noch andere schwerwiegende Krank-
heitserscheinungen hinzukommen. Hier stehen in erster Linie krankhafte Zwangsge-
danken und Triebhandlungen sowie periodische Schwankungen der Stimmungslage,
die am häufigsten das Bild der
circulären Psychose
darbieten.
Im vorliegenden Falle lässt sich aus der vorstehenden Schilderung unschwer er-
kennen, dass die Weiterentwicklung der psychopathischen Züge zu den Symptomen
ausgeprägter psychischer Störung sich in der Pubertätszeit vollzogen hat und durch
interkurrente Schädlichkeiten gesteigert wurde. Zur Zeit der Begehung der inkrimi-
nierten Handlung befand sich der p. Ditzen zweifellos in einer
Gemütsdepression
mit
ausgesprochenen
Zwangsvorstellungen
. Der Selbstmordgedanke, welcher sich schon
früher gewaltsam emporgedrängt hatte, stand im Zusammenhang mit der Zwangsten-
denz, einen anderenMenschen zu töten. Der Plan des gemeinsamen Selbstmordes und
der gegenseitigen Tötung war die weitere Folge dieser krankhaften Vorgänge.
Es mag dabei unentschieden bleiben, inwieweit diese unglückselige Frucht krank-
hafter Gedankenarbeit ausschließlich dem p. Ditzen zur Last fällt oder ob der sicher-
lich ebenfalls psychopathische Freund von Necker den Gedanken des Selbstmordes
und der gegenseitigen Tötung suggestiv gefördert hat. Für jeden Fall aber kann bei
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