• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 36

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Wer einmal aus dem Blechnapf frisst
, seine Erfahrungen im Gefängnis. Eigentlich
auch ein Verdienst des konsequent handelnden Gerichtsarztes Ziemke. Was wäre
geworden, wenn er Ditzen den § 51, d. h. die Unzurechnungsfähigkeit, zuerkannt hät-
te? Ditzen wäre einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt zugeführt worden, der
Inhalt seines Buches ein anderer. Denn in keiner psychiatrischen Klinik und schon
gar nicht in einer privaten Heil- und Pflegeanstalt für Gemüts- und Nervenkranke
aßen die Patienten damals wohl aus einem Blechnapf. Diesen aber konnte Ditzen ge-
nau beschreiben: »Der Blechnapf, weiß, meist angestoßenes Email mit blauem Rand.
Größe oberer Durchmesser etwa 28 cm. Höhe etwa 9 cm. Die kreisrunde Schüssel
muss etwa anderthalb Liter Essen fassen können, ist also ziemlich groß. Der Löffel
einfacher Blechlöffel […]«.
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Die Jahre nach dem Gefängnis in Neumünster
Als sich für den 34-jährigen Ditzen die Tore der Justizvollzugsanstalt Neumünster am
10. Mai 1928 wieder öffneten und er mit seinem Koffer als freier Mann auf die Straße
trat, kreisten seine Gedanken am Portal des Gefängnisses um das, was Biograf Liersch
mit den Worten umschreibt: »Er wollte das Gefängnis als einen Schlussstrich. Das
Gefängnis hat seinen Sinn erfüllt.«
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Und Williams meint: »Sein Alkoholismus und
seine Drogensucht lagen hinter ihm.«
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Caspar formuliert: »Danach entwöhnt und
gründlich geheilt, schloss er sich dem Guttemplerorden an.«
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Vorsichtiger hingegen
äußert sich Manthey: »Es ist aber auch nicht ohne Aufschluss, wie ernst er es nach
der Entlassung aus dem Gefängnis mit der Absicht nahm, nicht wieder rückfällig zu
werden.«
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Ditzen begibt sich fürs Erste nach Hamburg, kommt dort in einer Fürsorgeein-
richtung für Haftentlassene unter, wohnt zur Untermiete bei Familie Fehrmann in der
Hasselbrockstraße 54. Am 8. August 1928 schreibt er einen Brief an den »Sehr verehr-
ten Herrn Rowohlt«: »Seit vier Monaten bin ich aus der Haft entlassen. Ich habe in
dieser Zeit auf jede erdenkliche Weise versucht, mir Arbeit zu verschaffen: so gut wie
erfolglos […] Ich bin so ziemlich am Ende und weiß nicht mehr aus noch ein […] Viel-
leicht können Sie irgendwo einmal ein gutes Wort für mich einlegen, damit man mir
noch einmal eine Chance gibt«, um dann fortzufahren: »Mit meinen schlechten Ge-
wohnheiten von ehedem habe ich völlig Schluss gemacht, in diesem Punkt dürfen Sie
völlig sicher sein.«
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Mit dem, was er Rowohlt schreibt, scheint es Ditzen ernst zu sein.
Dennoch kommt die Frage auf, wie Rowohlt die Bemerkung »in diesem Punkt dürfen
Sie völlig sicher sein« verstanden hat. Ob er sich überhaupt mit diesem Nebensatz
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