• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 28

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Mutter mit der Tatsache, »meine Mutter hatte Mitleid mit mir. Das hasse ich. Ich
empfinde Mitleid als eine Aufdringlichkeit gegen mich, mein Inneres.« Dann heißt
es: »Gegen meinen Vater gab sich neuerdings diese Aversion völlig«, ein anhalten-
der, nachhaltiger Vater-Sohn-Konflikt war also nicht zu verzeichnen. Die Aversion
gegenüber der Mutter resultierte aus deren Mitleidsempfinden gegenüber dem Sohn,
als der ab dem 10. April 1911 für acht Wochen als Patient im Sanatorium Bad Berka
aufgenommen wurde. »Sanatorium war für mich gleichbedeutend […] mit Irrenan-
stalt und das passte ja auch zu dem, was ich schon immer gesagt, ich würde wahnsin-
nig.« Dies hatte seine Vorgeschichte noch in Leipzig. Hierzu die Aussage der Mutter
im Prozessprotokoll: »Eines Tages im März d. Js. [1911] kam die Mutter eines seiner
Schulfreunde zu mir (Frau Reichsgerichtsrat Burlage) und teilte mir mit, dass mein
Sohn die Absicht habe, sich das Leben zu nehmen. Wir trafen ihn in seinem Zimmer,
Abschiedsbriefe schreibend. Mein Mann und der junge Burlage [Wilhelm] haben ihn
damals mit Gewalt imHause zurückgehalten. Er hat dann mehrere Stunden ganz starr
ohne Bewegung in einem Sessel gesessen und war allem Zureden gegenüber durchaus
unzugänglich.« Die von der Mutter angeführten Abschiedsbriefe hatten wiederum
einen Zusammenhang mit jener Käthe Matzdorf. Nicht nur hierzu wurde Ditzens
Freund Wilhelm Burlage auch umfangreich befragt. Seine Zeugenaussage wurde auf
mehreren Seiten protokolliert. Das Protokoll ist ebenso Bestandteil der Gerichtsakte.
Gegenüber Dr. Eggebrecht, so die Mutter, gab Rudolf Ditzen an, »er leide an einem
Zwange, dass er, wen er lieb hätte, schaden müsse. Um dem Zwang zu entweichen, dem
jungen Mädchen zu schaden, habe er schließlich Selbstmord begehen wollen«.
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Weiter berichtet Ditzen über den Aufenthalt vom 15. Juli bis zum 3. Oktober 1911 in
Rudolstadt. »Ich kam hier in das Haus des Generalsuperintendenten B. (Braune) in
Pension.« Es handelte sich um Dr. Arnold Braune (1852 – 1932), dem obersten Geist-
lichen des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt.
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Für Ditzen war es nicht nur »das
unrichtigste Haus, das es nur geben konnte«, es war auch die Frau des Hauses, die
ihn mit »hässlichsten, geschmacklosesten Sticheleien […] in eine hilflose Wut versetz-
te«. Seine Reizbarkeit wurde immer größer. Problematisch war auch in Rudolstadt
der schulische Anschluss. In seinem Ehrgeiz fühlte er sich gekränkt, »manchmal be-
kam ich heftige Schwindelanfälle«, zu alledem erfuhr er, dass sich »ein Onkel von
mir erschossen« hatte. Es handelte sich um einen Onkel mütterlicherseits. Ditzen war
insgesamt »so fabelhaft gereizt, wie es nur sein konnte«.
Die folgenden Ausführungen im Lebenslauf geben die gedankliche Auseinander-
setzung mit dem Tod, den Abläufen vor der Tat und den Ereignissen am Uhufelsen in
Rudolstadt, die den Tod von Neckers nach sich zogen, sowie die Bergung des schwer
verletzten Ditzen und seine erste Behandlung im Rudolstädter Krankenhaus wieder.
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