• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 19

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handschriftlich Auskunft erteilt. Der junge Mann hatte in der Klinik ausreichend Zeit,
seinen Lebenslauf zu Papier zu bringen. 36 Seiten kamen zusammen, die nunmehr ein
Teil des umfangreichen Aktenmaterials darstellten, die dem Krankenblatt beigelegt
wurden, ein üblicher Archivvorgang. Jeder, der das endgültige Gutachten in Bins-
wangers Maschinenschrift las, fand auf Seite 25/26 den Satz: »Aus einem hier nieder-
geschriebenen Lebenslauf, der imWesentlichen mit den aktenmäßigen Feststellungen
übereinstimmt, wäre noch zu entnehmen, dass er stets von Jugend an verschlossen
auch seinen Eltern und Geschwistern gegenüber gewesen ist …«.
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In der Folge gab es viele Interessenten, die sich mit Rudolf Ditzen beschäftigten,
vor allem um den Lebensweg und das literarische Schaffen Hans Falladas nach seinem
Tode biografisch zu bearbeiten. Bei Sichtung aller Materialien zum Jenenser Gutach-
ten und der Krankenakte fehlte allerdings dieser handgeschriebene Lebenslauf – ein
»weißer Fleck«. Börner und weiteren Engagierten gelang es nun, das Schriftstück und
zusätzlich einige Briefe in Jena ausfindig zu machen. Im Rahmen der erwähnten Aus-
stellung und im Katalog
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konnten die Materialien erstmals der Öffentlichkeit präsen-
tiert werden. Man sprach von einer »kleinen Sensation« und der Tatsache, dass der
aufgefundene handschriftliche Beitrag eine Lücke in der Fallada-Forschung schließe.
Zu den Engagierten, die zur Auffindung des Lebenslaufs beitrugen, gehörte auch der
Privatdozent der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Jena Dr. med. Sebas-
tian Lemke. Er gab 2010 das Buch
Rudolf Ditzen–Hans Fallada–Lebenslauf eines
Rudolstädter Gymnasiasten
heraus, in dem eben dieses Schriftstück abgedruckt ist. Im
Vorwort schreibt Lemke: »Wie in einer eigenartigen Fügung kam mir nun im Jahre
2005 die Krankengeschichte dieses Schriftstellers zu, als ich den Nachlass eines Direk-
tors der Jenaer Klinik durchsah; der Klinik, an der ich tätig bin und an der gerade
dieser Schriftsteller 1911 als Schüler in die erste stationäre psychiatrische Behandlung
seines Lebens kam. Damals hieß er noch Rudolf Ditzen«.
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Der Direktor war Professor
Dr. Valentin Wieczorek (1927– 2005). Nach der angesprochenen Lücke wurde schon
längere Zeit gesucht, wie sich auch durch Briefe belegen lässt, die sich imHans-Fallada-
Archiv in Carwitz
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befinden. Günter Caspar (1924– 1999), Lektor und später Chef-
lektor des Aufbau Verlages in Berlin sowie Herausgeber einer zehnbändigen, hervor-
ragend kommentierten Werkauswahl von Fallada, war es, der in einem Brief an den
damaligen Direktor der Klinik für Psychiatrie und Neurologie »Hans Berger« in Jena,
Professor Dr. Hugo von Keyserlingk (1908– 1980) am 5. Dezember 1967 erstmals auf
diesen Sachverhalt aufmerksam machte.
Caspar hatte von Professor Dr. Jürg Zutt (1893–1987) in Erfahrung gebracht, dass
sich in der Krankengeschichte von Ditzen dessen handgeschriebener Lebenslauf befin-
denmüsste. Caspar bat vonKeyserlingk umNachforschung und Zusendung einer Kopie.
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