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Auf der Suche nach einem Lebenslauf
in einer Krankenakte
Am 3. Juli 2010 öffnete im Literaturmuseum Romantikerhaus in Jena die Ausstellung
Hans Fallada in Thüringen
. Auf dem Ausstellungsplakat und dem Begleitband zur
Ausstellung steht der Satz: »Wenn Ihr überhaupt nur ahntet, was ich für einen Lebens-
hunger habe!« Kurator der Ausstellung und Herausgeber des Katalogs ist der Jenenser
Historiker Daniel Börner. Der eigentliche Anlass, über Fallada in Thüringen zu for-
schen, bestand zunächst darin, an dessen Einlieferung in die Psychiatrische Klinik in
Jena am 15. Dezember 1911 zu erinnern.
Der junge Rudolf Ditzen sollte vomDirektor der Klinik Professor Dr. Otto Binswan-
ger (1852– 1929) begutachtet werden. Ditzen war Akteur einer Gymnasiasten-Tragödie
auf demUhufelsen, bei der er den gleichaltrigen Freund vomRudolstädter Gymnasium,
Hanns Dietrich von Necker, in einem inszenierten Duell, als Doppelselbstmord dekla-
riert, am 17. Oktober 1911 erschossen hatte. Der Vorgang musste untersucht und die
Frage der Zurechnungsfähigkeit geklärt werden, eine gerichtlich-psychiatrische Aufga-
be. Die Erstellung solcherart Gutachten
gehören zu den Aufgabenbereichen eines
auf diesem Gebiet erfahrenen Psychiaters,
so wie Binswanger einer war.
Der zu begutachtende Rudolf Ditzen
überlebte, hatte sich aber selbst zweimal
in die Brust geschossen. Nach seiner Gene-
sung wird er des Mordes angeklagt. Am
24. Oktober ergeht der Haftbefehl, am
15. November wird er in die geschlossene
Abteilung der Großherzoglichen Landes-
Irren-Heilanstalt und Psychiatrischen Kli-
nik in Jena eingeliefert.
Binswanger galt als Koryphäe in sei-
nem Fach und wird seine Klinik bis zum
1. Oktober 1919 – über 37 Jahre – leiten.
Zusammen mit dem Direktor der Psychi-
atrischen und Nervenklinik in Kiel Ernst
Siemerling (1857– 1931) hatte Binswan-
ger 1904 ein vielbeachtetes
Lehrbuch der
Psychiatrie
verfasst.
Prof. Dr. med. Otto Binswanger (
1852–1929
)
als Rektor,
1912
