• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 20

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Zutt, seit März 1964 als Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Neurologie der Uni-
versität Frankfurt am Main emeritiert, hatte sich Anfang 1967 die Krankenakte Dit-
zen/Fallada der ehemaligen Kuranstalten Westend, in denen sich Fallada von 1943 bis
1946 mehrfach befand, zuschicken lassen. Er wandte sich an die Nachfolgeeinrichtung
der Kuranstalten Westend, die Psychiatrische und Neurologische Klinik der Freien
Universität unter ihrer alten Anschrift »1 Berlin 19, Nußbaumallee 30–38« mit der
Bitte, ihm die Akte zur Einsicht zur Verfügung zu stellen. So jedenfalls ist der Vorgang
zu deuten, dass mit Schreiben vom 25. März 1967 die Akte wieder zurückgeschickt
wird. Das Begleitschreiben hierzu ist der Akte Ditzen/Fallada beigelegt. Sie wird im
Krankenblattarchiv der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psycho-
therapie, Charité, Campus Benjamin Franklin, Berlin, Eschenallee 3 gelagert.
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Zutt, der Fallada in den Jahren 1943 bis 1946 in den Kuranstalten Westend behan-
delte, verfügte neben Dr. Wilhelm Burlage, der Fallada in den Jahren 1935 bis 1940 im
Sanatorium Heidehaus in Zepernick betreute, über umfassende Kenntnisse zu dessen
Person und besaß Einblick in die Kranken- und Lebensgeschichte des Schriftstellers.
Zudem hatte Zutt Fallada erstmals 1935 in der Psychiatrischen und Nervenklinik der
Charité in Berlin stationär behandelt. Es ist davon auszugehen, dass Fallada in Gesprä-
chen mit Zutt über seinen ersten Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik und die
Begutachtung durch Binswanger in Jena berichtete. Wie die Auswertung von Unter-
lagen aus den entsprechenden Einrichtungen zeigt, war Fallada in diesem Zusammen-
hang stets sehr offen und mitteilungsfreudig.
Caspars Bemühen, den Original-Lebenslauf des jungen Ditzen einzusehen, blieb
erfolglos, er war schlichtweg »verlegt«. Somit konnte keiner der Direktoren in Jena
seit 1967 Caspar das Schriftstück zur Verfügung stellen, von dem er sich so viel erhoffte.
Der »degenerierte konstitutionelle Psychopath« – 
Rudolf Ditzen auf dem Weg zum § 51 StGB –
Psychiatrische Klinik Jena – Professor Binswanger 
Am 15. November 1911 wird Ditzen vom Landgericht Rudolstadt zur psychiatrischen
Begutachtung für sechs Wochen in die Psychiatrische Klinik in Jena zu Binswanger
eingeliefert.
Die juristische Grundlage für diesen Beschluss lieferte der § 81 der damaligen Straf-
prozessordnung (
STPO
)
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: »Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszu-
stand des Angeschuldigten kann das Gericht auf Antrag eines Sachverständigen nach
Anhörung des Verteidigers anordnen, dass der Angeschuldigte in eine öffentliche Irren-
1...,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19 21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,...136
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