• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 27

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doch ausgezeichnet zu dem sorglosen, leichtsinnigen Charakter des Einen und dem
hochmütigen, genusssüchtigen des Anderen, Eigenschaften, die ich ihnen nicht im
geringsten zum Tadel und Nachteil anrechne, nein, vielmehr als einen notwendigen
und deswegen guten Zug ihrer Individualität ansprach. So waren meine Freunde be-
schaffen.« Was für eine Charakterisierung seiner beiden Freunde. Ditzen offenbart
hierbei markante Wesenszüge seiner selbst. Sie werden durch eine weitere Wesensart
des jungen Mannes konterkariert. Seit die Familie in Leipzig wohnte, konnte er sich
hier endlich den Wunsch erfüllen, ein »paar Tiere […] Kaninchen und Meerschwein-
chen« anzuschaffen. Zwiespältig schreibt er: »Ich mochte die Tiere leidenschaftlich
gern […] aber ich konnte nicht lassen, sie zu quälen […] Es ist das aber eine Eigenschaft,
die ich immer wieder an mir beobachten konnte, dass ich besonders gern die, zu denen
ich eine Zuneigung habe – seien es nun Tiere oder Menschen –, quäle.«
Im Winter 1910 infiziert sich Ditzen anlässlich einer Wandervogelfahrt nach Hol-
land mit Typhus. Als Folge der Typhusinfektion traten »nervöse Kopfschmerzen
im verstärkten Maße« wieder auf. Die Diagnose wird von Dr. Eggebrecht gestellt.
Eggebrecht hatte bereits nach dem Unfall im April 1909 auf die Folgen der schwe-
ren Gehirnerschütterung aufmerksam gemacht und die Meinung vertreten, dass die
nachfolgende Neigung zu Schwindel und Kopfschmerzen Zeichen für »einen schwer
hysterisch erkrankten Menschen« seien. Nun hatte Ditzen zu rauchen angefangen
und zwar »nicht allmählich, sondern gleich in Massen, Shagpfeife, Cigaretten, zwan-
zig, ja dreißig waren an einem Tage keine Seltenheit«. »Dazu kamen die Kneipen«,
und weiter: »Nach Weihnachten setzte dann eine neue Epoche ein: die der stärks-
ten schriftstellerischen Productivität. Ich saß oft von 2 Uhr nachmittags bis 12, 1 Uhr
nachts und schrieb und schrieb.«»Dabei wurden die nervösen Kopfschmerzen immer
stärker.« Im Folgenden schreibt Ditzen von seinem intensiveren Kontakt zu Hanns
Dietrich von Necker und zu seinem Freund Burlage, dem er über Selbstmordabsichten
berichtete, die imZusammenhang mit einem anonym geführten Briefwechsel über die
Beziehung zu einem »Frl. M.« stehen. Es handelt sich um Käthe Matzdorf, eine von
Ditzens Mitschülerinnen und auch von ihm umworbene Gymnasiastin. Ihr widmet
er ein Epos, das er
Minnedienst
betitelt, ein
Epos vom Lieben und vom Liebeln
. Das
früheste literarische Zeugnis also.
In seinem Lebenslauf fährt Ditzen nach dieser Episode fort, geht auf sein Verhältnis
zu den Eltern und Geschwistern ein, verweist auf die Tatsache, dass es vielleicht befrem-
dend wirke, »dass bisher so wenig von meinen Eltern und Geschwistern die Rede ge-
wesen ist. Aber ich habe sie eben immer von mir ferngehalten.« »Gegen meine Eltern
hatte ich schon länger eine leise Aversion, die sich im Suchen und Finden kleiner
Schwächen und Eigenheiten äußert.« Begründet wird die Aversion gegenüber seiner
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