• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 35

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der Ausführung der Tat von einer
freien Willensbestimmung
nicht die Rede sein: der
p. Ditzenhandelte, umes zuwiederholen, unter demEinfluss einer krankhaften
Gemüts-
depression
und krankhafter
Zwangsgedanken
mit triebartig auftauchenden Willensre-
gungen.«
Es ist nicht überliefert, wie lange Binswanger anDitzens Gutachten gearbeitet hat, wie
oft er Sätze verändert, Aussagen akzentuiert hat. Wörter wie »degenerative konstituti-
onelle Psychopathen«, »circuläre Psychose«, »Gemütsdepression«, »Zwangsvorstel-
lungen«, »freieWillensbestimmung«, »krankhafte Gemütsdepression und krankhafte
Zwangsgedanken« wurden unterstrichen. Da stand es nun: »§ 51
StGB
«, in Klammern
gesetzt, und »auch zur Zeit geistig krank […] bedarf wegen seiner Selbstmordtendenzen
der weiteren ärztlichen Behandlung in der Klinik«. DieMordanklage gegenüber Ditzen
war aufgrund dieses Gutachtens hinfällig geworden. Die BiografinWilliams beendet das
erste Kapitel ihres Buches über Hans Fallada
Mehr Leben als eins,
das die Jahre 1893 bis
1912 umfasst und den Titel
Die Suche nach dem Ich
trägt, mit den Worten: »Wilhelm
Ditzen dürfte einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen haben […] vermutlich fühlte
sich Rudolfs Schwester Margarete ebenso erleichtert, denn nun konnte sie getrost ihre
geplante Ehe mit dem vielversprechenden jungen Anwalt Fritz Bechert
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– eine ausge-
zeichnete Partie– eingehen. In den Augen der Gesellschaft war ein Bruder in psychiatri-
scher Behandlung um vieles akzeptabler als hinter Gefängnisgittern.«
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Ob dem jungen
Ditzen die »Augen der Gesellschaft« ebenso von Bedeutung waren, mag dahingestellt
erscheinen. Manch andere zogen das Gefängnis vor, um sich nicht als geistig krank in der
Irrenanstalt wiederzufinden, auch wenn diese privat geführte fortan den Namen Tannen-
feld–Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke trug.
Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke
in Tannenfeld – Die Erfüllung des § 51 StGB –
Dr. Tecklenburg
Nach der Einweisung in die Psychiatrische Klinik in Jena zur Begutachtung am 15. No-
vember 1911 zog sich der vorgegebene Aufenthalt dort bis zum 3. Februar 1912 hin.
Binswanger signalisierte den zuständigen Behörden in Rudolstadt bereits am 13. De-
zember 1911, dass bei dem Unterprimaner Rudolf Ditzen »zur Zeit bei Begehung der
Tat ein Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit vorlag«. In seinem Schrei-
ben fährt Binswanger fort: »Da in den letzten Tagen wieder Depressionen mit Suicid-
tendenzen aufgetreten sind, so halte ich ihn zur Zeit, seines psychischen Zustandes
wegen,
nicht
für haftfähig«, und weiter: »Ich erkläre mich bereit, den Patienten nach
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