• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 39

121
groß, wenn Du mich wirklich kennst. Denk ruhig ein bissel an das, was meine Mut-
ter geschrieben, da ist viel dran. Und wenn Mutti auch nicht weiß, wie ich sein kann,
wenn ich einen Menschen lieb habe, so weiß sie doch, wie ich alltags bin – und Dir
gegenüber habe ich doch immer noch meine Feiertagsbuxen an.«
13
ImHerbst 1929, Suse ist inzwischen zu ihm nach Neumünster gezogen, wird Ditzen
als Lokalreporter über die Schleswig-Holsteinische Landvolkerhebung, eine dramati-
sche Auseinandersetzung im Vorfeld der Weltwirtschaftskrise zwischen Bauern, Groß-
bauern und Rittergutbesitzern, berichten. Er kennt die sozialen Bedingungen, unter
denen die Bauern arbeiten und leben, aus eigener Erfahrung. Sie sind in Schlesien,
Pommern oder hier in Schleswig-Holstein gleich schlecht. Ditzen wird auch über den
Prozess schreiben, den man den Rädelsführern macht. Einer von ihnen wird, so wie
er, im Zentralgefängnis Neumünster einsitzen. Was lag für Ditzen näher, als dass er
bei der Berichterstattung seinen Gefühlsassoziationen freien Lauf ließ. Ein hochaktu-
elles Ereignis also, das Ditzens Kräfte forderte, das ihm nunmehr Konzentration und
Beständigkeit abverlangt. Seine innere Unruhe und kritische Art wird er nicht zurück-
drängen. Er versteht es, sie in konstruktive Produktivität, in Schreiben umzusetzen.
Eine psychopathische Persönlichkeit muss nicht immer eine leidende sein. Wenn es die
äußeren Einflüsse erfordern, sind es die auch positiven Neigungen solcher Menschen,
die einen Sinn für Gerechtigkeit und Mitleid entwickeln. Die innere Verarbeitung der
Ereignisse und Erlebnisse um das Landvolk, um den Prozess und deren Berichtserstat-
tung waren dazu geeignet, Ditzens Wesensart zu modifizieren. Die von der Mutter be-
schriebene innere Unruhe, seine hysterische Art waren nunmehr die Kräfte, die seine
Gefühle zu der Willensstärke führten, vom Alkohol zu lassen und all das Gesehene zu
verarbeiten und niederzuschreiben. Ein Zustand, den Ditzen von sich kannte, der sich
wiederholen wird, dessen Dauerhaftigkeit aber, wenn sich die äußeren Verhältnisse än-
dern, abrupt und impulsiv verloren geht.
Das Ergebnis dieser aktuellen Phase seines bewegten Lebens wird ein Roman mit
dem endgültigen Titel
Bauern, Bonzen und Bomben
sein. Er erscheint imMärz 1931 im
Verlag des Mannes, bei dem Ditzen am Donnerstag, dem 16. Januar 1930 morgens um
9 Uhr in der Passauer Straße 8–9 in der Nähe des Berliner Wittenbergplatzes seinen
Dienst als Verlagsangestellter angetreten hatte: Ernst Rowohlt. Das Wiedersehen der
beiden nach all den Jahren war eher zufällig. Es soll sich am Strand bei Kampen auf
der Insel Sylt zugetragen haben. Die beiden Männer mit ihren Frauen trafen sich dort
beim Spaziergang. Rowohlts verlegerische Geschäftigkeit und sein Spürsinn für Auto-
ren, aber auch seine Gefährlichkeit ob seiner Neigung zum Alkohol und Ditzens
damaliger Wille, das einzuhalten, was er ihm am 8. August 1928 geschrieben hatte,
nämlich mit seinen schlechten Gewohnheiten von ehedem völlig Schluss gemacht zu
1...,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38 40,41,42,43,44,45,46,47,48,49,...136
Powered by FlippingBook