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denken, unter diesen Umständen kann Ditzen seine Schuldenlast nicht abtragen. Ab
17. Oktober 1931 ist er nicht mehr ein Angestellter des Rowohlt Verlags, tags darauf
ein freier Schriftsteller. Dennoch wird man ihm vom Verlag monatlich 250 Mark zu-
kommen lassen. Ditzen fühlt sich als »kleiner Mann«. Und er macht wieder das, was
er am besten kann: Schreiben. Zwischen dem 19. Oktober 1931 und dem 11. Februar
1932 entsteht
Kleiner Mann
was nun?
, das Erfolgsbuch. Es bringt ihm Anerkennung,
Popularität und Geld, löst aber nicht seine Probleme, schafft eher neue. Ein Mensch
wie Ditzen scheint nicht in der Lage, Maß zu halten, nach einem konstruktiven Gleich-
gewicht im Leben zu suchen, seine Gefühle von himmelhoch jauchzend bis zu Tode
betrübt einzudämmen. Sein Arbeits- und Tagesablauf verliert jene Konstanz, die an-
dere, die später seinen Roman wertschätzen, wie Thomas Mann, Hermann Hesse oder
Robert Musil, einhalten, wenngleich auch deren Schriftsteller-Leben nicht immer frei
von Konflikten ist. Schon auf dem Weg zu seinem Erfolgsbuch überkommt Ditzen
die Nervosität, die Unrast, täglich mehr Seiten zu schreiben als am Tage vorher. Er
schaukelt sich in seinem Gefühlsleben hoch, steigert den Gefühlsdruck, den er nicht
mehr beherrschen kann und verfällt in jene Haltlosigkeit, die stets impulsive Hand-
lungen nach sich zieht. Sein plötzliches Verschwinden aus dem Grünen Winkel 10 in
Neuenhagen Anfang Dezember 1931 entspricht solcher Wesensart. Mit dem Zug fährt
er nach Stralsund, weiter mit dem Dampfer. Diesmal nicht nach Wiek auf Rügen, um
wie einst bei Kagelmacher in Gudderitz unterzukommen.
Jetzt bringt ihn der Dampfer von Stralsund auf die Insel Hiddensee. Im kleinen
Hafen vonNeuendorf verlässt er nach zwei Stunden das Schiff. In fünfMinuten erreicht
er zu Fuß den Gasthof am Meer, den einzigen damals im kleinen Fischerdorf, be-
wirtschaftet von Alfred Freese. Nun erst erfährt Suse inNeuenhagen, wo sich ihr Mann
eigentlich befindet. Im Zimmer 11 des oberen Stockwerkes sitzt Ditzen bei Freese
und schreibt an sie und weiter an seinem Buch. Er unternimmt Spaziergänge am
Strand der Ostsee und am Bodden mit Blick auf die Insel Rügen. Manchmal hält er
sich bei den Fischern auf, klönt, raucht und trinkt mit ihnen. Nicht nur in dieser kalten
Jahreszeit trinken Fischer gern. Ditzen kennt die innere wohlige Wärme, die dabei auf-
kommt. Mit umfangreichenManuskriptseiten beladen, verlässt er am 17. Dezember die
Insel ebenso plötzlich wie er sie betrat und kehrt heim. Am 19. Dezember schreibt er
aus Neuenhagen an seine Schwester Margarete, die liebe Dete, und den lieben Fritz,
die Becherts in Zittau: »Der Hausherr ist gerade von einer vierzehntägigen Reise nach
Hiddensee zurückgekommen, wo er in Ruhe an seinem Buch gearbeitet hat. Er hat
sich glänzend erholt, es war herrlich beides, die See und der Sturm.«
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Sein Roman-
manuskript
Kleiner Mann
was nun?
beendet Ditzen am 11. Februar 1932.
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