• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 83

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enthalten muss, ist mir hier völlig klar geworden«, begegnet Suse mit den Worten,
»dass Deine Briefe anders sind als dann Deine Taten«.
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Beide bemühten sich in die-
senWochen dennoch umKlärung vonMissverständnissen für die Zeit nach der Entlas-
sung von Ditzen. Seine Geliebte Ulla Losch schrieb ihmweder eine Zeile in die Landes-
anstalt noch unterstützte sie ihn mit Naturalien oder Zigaretten oder besuchte ihn.
Suses Großmut hingegen zeigte kaum Grenzen. Sie schickte ihm von ihren Zigaretten
»leider nur ein Paket auf 1½Monate Frauenkarte«. Auch die Ditzens befinden sich am
Ende des Kriegesjahres 1944.
Suse ließ keineGelegenheit aus, ihremgeschiedenenMann zu helfen. Am12. Septem-
ber 1944 notierte sie in den Arbeitskalender: »Neustrelitz, Medizinalrat Dr. Hecker.«
Seit 1936 führte der Psychiater Dr. med. Johannes Hecker den Titel Medizinalrat.
Der 1902 in Stettin geborene Hecker wurde am 1. April 1935 zum Oberarzt ernannt,
arbeitete an der Seite des am 1. Februar 1935 neu ernannten Direktors der Heil- und
Pflegeanstalt Domjüch, Obermedizinalrat Dr. med. Karl Schmidt. Schmidt, Partei-
genosse seit dem 1. Mai 1933, Psychiater und bekennender Anhänger des Gesetzes zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses, kam von der Schweriner Heil- und Pflegeanstalt
Sachsenberg, von der auchHecker nachDomjüchwechselte. Zusätzlich zu seiner Tätig-
keit hier übernahm Hecker noch die ärztliche Versorgung der Strafgefangenen in der
Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz an der Berliner Chaussee.
ChristianeWitzke hat die Vorgänge mit Akribie recherchiert und schreibt, dass sich
in dieser Zeit zwischen dem 48-jährigen Dr. Schmidt und dem 33-jährigen Dr. He-
cker ein gespanntes Verhältnis entwickelte. »Schmidt verspricht jedem, der sich aktiv
im Sinne des nationalsozialistischen Regimes betätigt, berufliches Vorwärtskommen.
Der bislang parteilose Dr. Hecker kann sich seiner fortwährenden Agitation nicht
mehr erwehren. Er gibt seinen Widerstand gegen einen Parteieintritt auf und wird am
1. September 1937 auch Pg.«
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Die persönlichen und beruflichen Verstrickungen von
Psychiatern in den Heil- und Pflegeanstalten von Nazi-Deutschland nehmen zu, auch
in Mecklenburg. Witzke berichtet: »In der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz, der
Strafanstalt in Strelitz-Alt, gibt es etwa seit 1939 eine Veränderung. Im großen ›festen
Haus‹ hat man umgebaut. Eine gesonderte ›Abteilung zur Unterbringung unzurech-
nungsfähiger bzw. beschränkt zurechnungsfähiger Rechtsbrecher‹ ist hier eingerichtet
worden. Hierher sollen die Kriminellen gebracht werden, die unter § 51 Absatz 1 oder
2 des R
stGB
[ Reichsstrafgesetzbuch] fallen. Die neue Abteilung erhält die Bezeich-
nung ›Abteilung III‹ und wird offiziell ›Abteilung Heil- und Pflegeanstalt‹ genannt.
Im Mai 1940 sitzen in der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz im Gefängnis 100 bis
130 Schutzhäftlinge ein, deren Zahl sich täglich ändert. In der Abteilung Heil- und
Pflegeanstalt, der Abteilung III, sind es 70 Geisteskranke. Die Insassen dieser Abtei-
1...,73,74,75,76,77,78,79,80,81,82 84,85,86,87,88,89,90,91,92,93,...136
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