• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 87

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zeitigen. Mit der Ehescheidung verlor er allen Halt. Ständige Reibungen im noch ge-
meinsamen Haushalt, alkoholische Exzesse, Schlafmittelmissbrauch erstreckten sich
über Monate. Schließlich schoss er bei einer wohl von ihm provozierten Auseinan-
dersetzung, unter Alkohol stehend, in den Tisch, an dem seine Frau ihm gegenüber
sitzt. Zu jener Zeit befand er sich offenbar weder in einer Schwankung seiner Stim-
mung nach der manischen noch der depressiven Seite hin, denn er war nach seiner
Einlieferung in die Haftanstalt durchaus unauffällig. Vielmehr war die letzte Phase
dieser Art längst abgeklungen, aber er hatte, durch die von ihm verschuldeten für ihn
ungünstigen äußeren Verhältnisse veranlasst, weiter Alkohol- und Schlafmittelmiss-
brauch getrieben, wodurch seine rein reaktiv schlechte Stimmung zu einer ständig
mehr oder wenig gereizten geworden war. Der von ihm getriebene Missbrauch von
Alkohol und Schlafmitteln kann aber nicht so sehr erheblich gewesen sein, denn in
der Haft zeigten sich keinerlei Entziehungserscheinungen. Auch bei der Tat befand er
sich nicht in einem Zustand sinnloser Trunkenheit, hat doch klare Erinnerung an die
Vorfälle und sein beim Eintreffen des Gendarmen noch schwankender Gang wurde
bald wieder sicher. Es kann daher m. E. keine Rede davon sein, dass Ditzen sich bei
Begehung der Tat in einem die freie Willensbestimmung völlig ausschließenden Zu-
stande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand. Seine Fähigkeit, gemäß seiner
Einsicht in das Strafbare seines Tuns zu handeln, war aber durch seine Psychopathie
im Vers mit den enthemmenden Wirkungen des Alkohols erheblich vermindert im
Sinne des § 51 Abs. 2.
Von der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt kann m. E. abgesehen werden.
Die Phase, die bei ihm im Vorjahre bestand, ist abgeklungen. Mit seiner Frau wird
er, wie aus deren Äußerungen zu schließen, zu einem Ausgleich gelangen, womit der
wesentliche Grund für die ganzen Schwierigkeiten der letzten Zeit beseitigt sein wird.
Verhaftung und Verbringung in die Anstalt haben auch eine rechte Schockwirkung
auf ihn ausgeübt und es steht zu hoffen, dass er sich in Zukunft besser halten wird,
besonders auch hinsichtlich Alkohol und Schlafmitteln, zumal er auch nach gemach-
ten schlechten Erfahrungen und genügend langer Entziehung durch die Strafhaft sich
seitdem von Morphium freigehalten hat. Sieht das Gericht von Unterbringung ab, so
muss er allerdings m. E. mit Entschiedenheit darauf hingewiesen werden, dass eine
neue Straftat dann unweigerlich zur Dauerunterbringung führen würde. Wegen einer
Sucht braucht jetzt auch keine Unterbringung erfolgen, da eine Sucht im eigentlichen
Sinne nicht bestanden hat. […]
Außerhalb meines Gutachtens möchte ich noch bemerken, dass es ärztlich gesehen
zweckmäßig sein würde, die Unterbringung in der Landesanstalt bis zur Verhandlung
fortdauern zu lassen, da Ditzen im Ganzen gesehen doch mehr in die Hand eines Psy-
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