• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Klaus-Jürgen Neumärker: Der andere Fallada - page 94

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im Gespräch 1994 mit Müller-Waldeck: »Traurig war ich dann, als ich seine Hoch-
zeitsanzeige der zweiten Ehe zu Gesicht bekam–mit der Ludwig-Richter-Zeichnung
und dem Bären-Kraulen aus ›Schneeweißchen und Rosenrot‹, weil ich das immer
ein bisschen als Geheimnis unserer Gespräche betrachtet hatte.«
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Erst einen Monat
später –Ditzen hatte sich inzwischen wegen der Kriegsereignisse aus Berlin davonge-
macht –wirderZuttunterdem9.März1945aus»Feldberg/Klinkecken,Meckl.«schrei-
ben. Das Schriftstück befindet sich sowohl in der Krankenakte als auch als Durch-
schlag im Hans-Fallada-Archiv.
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»Sehr verehrter Herr Professor Zutt, es liegt mir immer noch schwer auf der Seele,
dass Sie mein eintägiger Besuch in den Kuranstalten so betrübt und wohl auch geärgert
hat. Ich möchte Ihnen doch heute – einen guten Monat später – sagen, dass er wenigs-
tens mir wohl getan hat: es ist seitdem nicht wieder das geringste vorgekommen– trotz
mancherlei ungewöhnlicher Belastungen, teils persönlicher, teils zeitbedingter Natur.
Es ist ja doch immer wieder bei mir das alte Lied: wenn der Schüler seine Schular-
beiten fein säuberlich erledigt hat (und das war in diesem Falle meine Hochzeit mit
allem, was vorausging) lässt er sich erst einmal gehen – um sich wieder an seine andern
Arbeiten zu setzen. Dass Sie mir geholfen haben, über dieses Sichgehenlassen schnell
und völlig hinweg zu kommen, das danke ich Ihnen wieder einmal sehr. Am Montag
fahren wir wieder einmal nach Berlin, für eine Woche – haben Sie [...] den Wunsch,
mich zu sehen oder zu sprechen, so bin ich in meiner Berliner Wohnung Schöneberg,
Meranerstr. 12 (Telef. 77 27 84) erreichbar. Ich bin mit den besten Grüßen, auch an
Frau Dr. Schmidt-Rost, Ihr«
Es ist nicht überliefert, ob Zutt zwei Monate vor Kriegsende in dem zerstörten Ber-
lin, in der auch zerstörten Wohnung in der Meraner Straße 12, den Wunsch hatte, Dit-
zen und dessen neue Ehefrau zu sehen oder zu sprechen! Bald schon wird es zur Stunde
Null in Deutschland kommen mit all den Irrungen und Wirrungen danach.
Die Stunde Null –Zeit der Irrungen und Wirrungen
Ditzen befand sich in Erwartung der kommenden Ereignisse mit Frau Ulla, deren
Mutter und Ullas Tochter Jutta in Feldberg imHaus in Klinkecken. Am 28. April 1945
erreichten die Rotarmisten vom 96. Schützen-Korps, wie den Militäraufzeichnungen
zu entnehmen ist, weitgehend kampflos Feldberg und die umliegenden Dörfer, auch
Carwitz, wo sich Suse mit den Kindern befand. Die von der Goebbels-Propaganda
als bolschewistische Untermenschen bezeichneten Soldaten der Roten Armee standen
nun als Befreier ihren arischen deutschen Feinden gegenüber. Der Ruf »Die Russen
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