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me hatte ich ja mit der Öffnung gegenüber der Familie und auch gegenüber Freundin-
nen und Freunden.
Und die Zeit war ein wichtiger Faktor. Man lebte noch und in mir war ein großer
Lebenswille. Wenn man solche prachtvollen Enkel hat wie ich, dann möchte man ihren
Weg doch weiter verfolgen. Hoffnung und Zuversicht wuchsen von Tag zu Tag, weil ich
mich in kompetenten Händen wusste. Auch bin ich ein Mensch, der annimmt, was ihm
nun mal beschieden ist. Das dauerte seine Zeit, das ging nicht von heute auf morgen.
Bevor das verarbeitet ist, gibt es viele Phasen. Ich habe nicht einmal geweint. Das war
vielleicht gar nicht gut. Ich war anfangs wie versteinert. Es war eine gewisse Starre.
Aber Starre kann positive Effekte haben. Die Käfer stellen sich auch tot. Vielleicht ist
das so ein Ur-Instinkt. Gewütet habe ich nicht. Klar fragt man: »Warum?«, »Warum
ich?«, aber im Grunde bin ich ein optimistischer Mensch. Ich habe meine Krankheit
durch ein Drittel eigenes Potenzial, ein Drittel ärztliche Kunst und ein Drittel Glück
überwunden. Mit der Genesung wuchs eine große Lebensfreude in mir, die mich bis
heute erfüllt.
Was war und ist Ihre größte Herausforderung im Umgang mit der Krankheit?
Das Schicksal auferlegt einem immer mal etwas: Entweder verlassen dich Menschen,
man bekommt Krankheiten oder hat Umwälzungen wie die Wende hier im Osten zu
überstehen. Das sind große Herausforderungen. Wenn die auf dich wie Schläge zu-
kommen und du kannst nicht ausweichen, dann musst du dich ihnen stellen.
Eine ganz schlimme Sache während meiner Erkrankung war für mich das Aus-
gehen der Haare. Die Totalglatze war ein Zeichen für das innere Elend. Ich habe sogar
zu Hause diese Frottee-Haube aufgesetzt. Ich konnte mich ohne Haare nicht sehen, das
schnitt mir tatsächlich in die Seele.
Während der Chemo – sieben Stunden war mal die längste Zeit, da lief der Tropf
sehr lange – habe ich immer ein bisschen Knäckebrot gegessen. Ich konnte viele Jahre
danach keines mehr essen. Und bei der Bestrahlung hat mir mal der Doktor die Kehle
verbrannt. Ich konnte danach nur Quark und Brühe zu mir nehmen. Seitdem mag ich
keinen Quark mehr. Das hört sich fast lustig an, damals aber war es belastend. Während
der Chemo konnte ich auch nichts mehr schmecken und kochte mitunter dennoch für
die Enkel und den Mann. Es hat alles hingehauen. Als erfahrene Hausfrau weiß man
ja mit den Mengen Bescheid. Der Geschmack kam allerdings nach und nach wieder.
Ich war damals auch kräftemäßig sehr eingeschränkt. In der akuten Phase langte
die Kraft nur zwei bis drei Stunden, in denen man mal einkaufen ging oder etwas im
Haushalt machte. Ansonsten habe ich in meinem Sessel gesessen, Fernsehen geguckt,
viel gelesen, aber nur schöne und angenehme Bücher. Über die Krankheit habe ich
mich informiert, weil sich das so gehört. Großes Interesse hatte ich nicht, das ist so. Die
Behandlung zog sich über ein Jahr hin. Ich konnte in guten Phasen ziemlich normal
leben. Auch habe ich mehrtägige Ausflüge gemacht. In einer akuten Behandlungspha-
se starben meine Schwiegereltern. Ich bin dem ärztlichen Rat gefolgt und nicht zum
Begräbnis gefahren.
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