• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | ISBW: Unser Leben mit Krebs - page 16

12
Wie hat die Diagnose
»
Krebs
«
Ihr Leben und das Ihrer Familie verändert?
Eigentlich veränderte sich das Leben meiner Familie dadurch nicht, weil ich große
Probleme hatte, mich zu offenbaren. Ich gab meine Krebserkrankung nur scheib-
chenweise von mir, um allen den großen Schock zu ersparen. Mein Mann war zu
dieser Zeit in Ungarn. Er hatte durch die Wende hier im Osten praktisch keinen
Boden mehr unter den Füßen und wollte dort versuchen, für uns beide etwas Neues
zu schaffen. Für mich kam ein Umzug nach Ungarn allerdings nicht in Frage, da ich
die Sprache nicht verstehe. Und von den Kindern wollte ich auch nicht weg.
Die Tochter hat Familie, sie war mit zwei heranwachsenden Kindern ausgelastet.
Und wie gesagt, ich habe es immer heruntergespielt. So bekam ich, als ich mit der
Chemo begann und mir die Haare ausfielen, eine Perücke nach Hause zum Probe-
tragen. Die nahm ich mal mit zu den Kindern und jeder hat sie ausprobiert. Es war
eine recht heitere Situation, die Enkel haben überhaupt nicht mitbekommen, wie
weit ihre Oma eigentlich schon von ihnen entfernt war. Ja, das war so. Ich habe im-
mer alles sehr lapidar dargestellt.
Und meinem Mann konnte ich auch nicht einfach mal am Telefon sagen: »Du,
ich habe Krebs!« Es war für mich so ungeheuerlich. Wann er es dann richtig begrif-
fen hat, weiß ich nicht. Wir haben auch im Nachhinein den Zeitpunkt dafür nicht
festlegen können.
Ich denke, dass die Familie dadurch keine große Belastung erfahren hat. Mein
Mann baute ja in der Zeit in Ungarn ein Haus. Das war für mich recht böse, denn
das Haus war für mich so eine Art Konkurrenz. Ich habe es fast gehasst. Das gab sich
aber. Mein Mann tauchte hier nur manchmal zu Besuch auf – nicht wissend, wie
schwerwiegend die Krankheit ist. Vielleicht hat er es auch ein bisschen verdrängt.
Mein Leben hat sich mit dem Krebs ungeheuer verändert. Durch die Todesnähe
bekommt man einen anderen Blickwinkel auf viele Dinge. Man erkennt dann, was
wichtig ist und was nicht. Für mich war es wichtig, Halt zu finden. In der Religion
finde ich das nicht. Ich hatte Verwandte, die nach Bekanntwerden meiner Krankheit
für mich ernsthaft beteten. Ich selber habe dazu gar keine Bindung. Wenn der liebe
Gott mich mit dieser schlimmen Krankheit strafen wollte, dann ist das eben so. Aber
ich sehe auch davon betroffene Kinder. Und das ist für mich grauenhaft.
Ja, für mich war die Diagnose erst einmal der totale Absturz. Morbus Hodgkin,
ein bösartiger Tumor des Lymphsystems, war damals noch gar nicht so lange er-
forscht. Als meine Ärztin in ihrer sachlichen Art diese Diagnose stellte, dachte ich:
»Wieso fällst du nicht vom Stuhl, du bist doch jetzt total erledigt. Jetzt musst du ster-
ben.« Aber ich blieb sitzen, denn nach dem Verkünden der Diagnose sagte sie sofort:
»Und das ist jetzt unser Programm!« Auch ein Hausarzt baute mich auf: »Vor zehn
Jahren wären Sie gestorben. Jetzt gibt es Heilungschancen.«
»Durch die Todesnähe bekommt man
einen anderen Blickwinkel auf die Dinge.« 
Rosemarie Baranyai
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,...36
Powered by FlippingBook