• Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | ISBW: Unser Leben mit Krebs - page 14

auf Ressourcen zurückgreifen, von denen sie zum Teil selbst nicht wussten, dass sie
ihnen zur Verfügung stehen.
Dieses Modell des Funktionierens und des Ängste Negierens kostet jedoch viel
Kraft. Zu irgendeinem – häufig späten, eher unerwarteten – Zeitpunkt melden sich
diese Gefühle und wollen beachtet werden. Dann beginnt ein weiterer, sehr individu-
eller Prozess der Auseinandersetzung mit der Krankheit. Wenn diese Krise gemeistert
ist, berichten manche Betroffene davon, dass sie sich gereifter, vollständiger fühlen –
obwohl sie noch nicht wissen, ob sie wieder »gesund« sind.
Viele der Menschen, die auf den Fotos in diesem Buch zu sehen sind, erwecken
diesen Eindruck: Sie erscheinen keineswegs euphorisch, sondern gefasst und ent-
schlossen. Sie schauen ruhig in die Kamera. Zuweilen ist nicht auf den ersten Blick
erkennbar, wer hier Patient oder Patientin ist. Denn auf den meisten Fotos sind die
Patienten nicht allein, sondern werden begleitet von ihrem Partner oder weiteren
Mitgliedern der Familie. Und dies spiegelt sich auch in den Interviews wider. Anstoß
und Grundlage von Zuversicht und Entschlossenheit liegen häufig im Wunsch, mit
den Liebsten verbunden zu bleiben. Die anderen geben dem eigenen Leben Sinn und
Richtung, Halt und Struktur. Selbst wenn Familien auseinandergegangen oder sehr
weit entfernt sind, werden neue Beziehungen als »neue Familie« wahrgenommen.
Wir Menschen brauchen einander, brauchen das ermutigende Wort und die be-
sänftigende Stimme. Als Voraussetzung für das nüchterne Abwägen einschneidender
Entscheidungen, für das Sich-Verlassen-Können auf andere (zum Beispiel die Ärz-
te und Pflegenden), brauchen wir eine gewisse Gelassenheit, die aus dem Verbun-
den-Sein wächst. Wir brauchen Mitgefühl – füreinander, für die anderen und für uns
selbst. Von diesem Urbedürfnis und seiner Entsprechung in dem Impuls, füreinander
da zu sein, erzählen mit großer Eindringlichkeit Bilder und Texte dieses schönen und
gut gemachten Buches. Dank an die Herausgeber und an die mutigen Patienten und
ihre Angehörigen, die sich auf dieses Projekt eingelassen haben.
Dr. Frank Schulz-Kindermann,
Leiter der Psychoonkologischen Institutsambulanz
des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,...36
Powered by FlippingBook