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Wie ich vielleicht fast ein Schweizer
geworden wäre …
Oder: Wie schmeckt und riecht die Schweiz?
»So muss die Schweiz schmecken«, war meine erste be-
wusste sinnliche Wahrnehmung des Alpenlandes. Es han-
delte sich bei uns zu Hause um ein Sonntagsessen. Pelmeni,
russische Teigtaschen mit Schinkenwürfeln, Butter … und
hartem geriebenen Grünkäse, der mit ordentlichemNamen
»Schabziger« heißt. Aber das wusste ich als Halbwüchsiger
noch nicht. Mit dem Käse hat uns Tante Erika aus Thalwil
am Zürcher See versorgt.
Die russischen Pelmeni bereiteten meine Großmutter
Emmy und meine Mutter Ursula mit großem Aufwand zu.
Nudelteig ausrollen, mit einer Kaffeetasse ausstechen, mit
gewürztem Gehacktem füllen und danach das Ganze halb-
mondförmig zusammendrücken. Insgesamt rund einhun-
dertmal und wenn Besuch kam, gern noch einmal so viel.
Emmy wurde im ersten Jahr des 20. Jahrhunderts ge-
boren und gehörte in den 1920er und 1930er Jahren zu
den vermeintlich etwas gehobeneren Kreisen in Riga, der
Hauptstadt des bürgerlichen Lettlands. Schließlich war Ri-
chard, ihr Mann, Zollbeamter im Hafen.
Sie hat auch im ungeliebten Mitteldeutschland, weit
weg vom Meer (sie konnte allerdings nicht schwimmen),
lange ihr Outfit und ihren Stil beibehalten. Zum Beispiel
mit Hut und Handschuhen (auch im Sommer) und sehr
langen, gepflegten Fingernägeln. Die waren hervorragend
geeignet, die Pelmeni in einer hohen Geschwindigkeit zu-
zudrücken. Nicht einfach so, sondern mit einem schönen
Zopfrand.
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