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den in Uelzen 1888 und 1890 geborenen älteren Schwestern Elisabeth und

Margarete bekam Rudolf 1896 einen jüngeren Bruder, Ulrich. Das traditi-

onell-bürgerliche Familienleben war gesellig und von den literarischen und

insbesondere musikalischen Interessen der Eltern geprägt. Wilhelm Ditzen

war nicht nur außerordentlich belesen, sondern auch ein exzellenter Pianist.

Fallada erinnerte sich: »Außer dem Büchersteckenpferd ritt mein Vater aber

noch ein zweites, das war die Musik. Die Musik, besonders in der Form des

von ihm geübten Klavierspiels, war seine größte Freude, seine Entspannung,

sein Trost, seine Gefährtin in einsamen Jahren. Mein Vater soll ein ausgezeich-

neter Klavierspieler gewesen sein, und Mutter, die eigentlich nur das übliche

Klimpern der höheren Töchter gelernt hatte, entwickelte sich unter seiner

Führung in den langen Jahren ihrer Ehe immer mehr, wenn sie auch Vater nie

erreichte.«

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Die Geburt Rudolfs war schwer, in den ersten Tagen war es nicht klar, ob

er überleben würde. Obwohl zunächst ein propperes Baby, magerte er bald

stark ab. Womöglich hatte Elisabeth Ditzen Schwierigkeiten mit dem Stil-

len. Mehlbrei mit Zuckerwasser war die übliche Ersatznahrung, wennMutter

oder Amme nicht zur Verfügung standen. Der Apothekergehilfe Henri Nestlé

hatte die erste, von Justus von Liebig 1865 entwickelte Fertignahrung für Babys

weiterentwickelt und 1868 auf den Markt gebracht. In dem relativ wohlha-

benden Haushalt Ditzen in Greifswald wäre die Anschaffung von »Henri

Nestlés Kindermehl«, wie das Produkt hieß, oder die in den 1880er Jahren

auf den Markt gekommene »Voltmersche Milch« sicher möglich gewesen.

Ob der kleine Rudolf damit gefüttert wurde, ist nicht bekannt. Hebamme

und Mutter machten sich jedenfalls große Sorgen. Irgendwie überstand er

die kritischen ersten Wochen, machte aber sodann alle möglichen Säuglings-

krankheiten durch.

Die Mutter vermerkte in ihren 1941 in Celle geschriebenen Erinnerungen:

»Unser Rudolf hatte sich sehr viel langsamer als die andern Kinder entwi-

ckelt. Das lange Kranksein hing ihm nach, und Jungen kommen nach meiner

Erfahrung auch nicht so schnell vorwärts wie Mädchen. Er lernte sehr viel

später gehen, auch sprechen, immerhin noch eher als später sein Bruder Uli.

Zuerst wurde er auch nicht eigentlich fröhlich, aber nach und nach wurde er

sehr lebhaft. Die große Vorliebe für Bücher teilte er bald mit seiner Schwes-

ter Elisabeth. Setzte ich ihn in seinen Kinderstuhl, hieß es sofort: ›Vorlesen‹