Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Sandra Lembke: Hoheiten, Diplomaten und Ehrenretter - Gäste am Mecklenburg-Strelitzer Hof - page 14

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Guerchy zu Füßen wirft und ihn anfleht, ihren Sohn zu schützen, da
dieser den Chevalier zum Duell gefordert habe, um seinen Vater zu
rächen, ist d’Éons Schicksal endgültig besiegelt. Louis XVI. verhin-
dert das Duell unter Berufung auf das vermeintlich weibliche Ge-
schlecht des Chevaliers und d’Éon muss sich schriftlich verpflichten,
Frauenkleidung anzulegen. Dafür verlangt er aber im Gegenzug unter
anderem eine Urkunde, die über sein neues Geschlecht Auskunft gibt
und die Auszahlung des Geldes, das ihm Versailles bereits seit gut
20 Jahren schuldet. Inzwischen ist eine Summe von 256 000 Livres
aufgelaufen, aber der arme Chevalier sieht auch jetzt keinen einzigen
Sou. Ein mehr als schäbiges Verhalten des französischen Hofes und
zudem ein sehr gefährliches. Nach wie vor befinden sich die brisanten
Geheimpapiere im Besitz d’Éons. Obwohl man ihm in England viel
Geld dafür bietet undVersailles ihn wieder einmal vor den Kopf stößt,
bleibt der Chevalier d’Éon patriotisch und hält die Dokumente unter
Verschluss. In London verbindet ihn inzwischen eine tiefe Freund-
schaft mit einem alten Bekannten aus St. Petersburg: Lord Ferrers.
Obwohl er den damals rasend in ihn verliebten Admiral wohl ein
wenig gehörnt hat, legt ihm dieser nun sein Vermögen zu Füßen. Der
Chevalier d’Éon übergibt dem Lord die geheimen Papiere zur Ver-
wahrung und ordnet an, dass diese für den Fall, dass Frankreich dem
Chevalier bis zu seinem Tod nicht die ausstehenden Bezüge zahlen
sollte, in den Besitz des Engländers übergehen sollen. D’Éon behält
nur die privaten Briefe Louis XV. bei sich.
Doch Versailles entsinnt sich eines Tages der Geheimpapiere
und erkennt, wie töricht es gewesen ist, sich dem Chevalier gegen-
über so ungebührlich zu betragen. Nun entspinnt sich ein perfides
Spiel zwischen d’Éon und seinem Vaterland, in dessen Verlauf der
Dichter Pierre Augustin Caron de Beaumarchais den Chevalier dazu
bringen wird, ihm den Schlüssel zu den Geheimpapieren sowie die
private Korrespondenz mit Louis XV. auszuhändigen und zudem
einen Vertrag zu unterzeichnen, in dem er seinem Namen und seiner
Männlichkeit endgültig entsagt. Die Hinterlist treibt den Poeten
gar soweit, dem Vertrag eine Klausel hinzuzufügen, mit der sich der
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