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Herbert S.
und die deutsche Sprache
Da frage ich vorgestern meinen Kumpel Erwin,
ob wir gemeinsam das Flaschenleergut zum Super-
markt schleppen, und Erwin sagte, dass er erst einmal
»chillen« wollte. Was war DAS denn, was hatte denn
den gestochen? Hatte er sich etwa von seinen ganz jun-
gen Arbeitskollegen irgendeine linguistische Bakterie
eingefangen? »CHILLEN.« Früher hieß es: »Ick will
noch ’n bisschen in der ›Seeche‹ liegen, an der Ma
tratze horchen.«
Jetzt kam ich mit meinemDeutsch. »Erwinowitsch.
Warum lässt du solch eine gequirlte Kacke raus?« »Ver-
stehst du nicht, Hörrbi, wir müssen uns in der Sprache
anpassen, uns global anschließen – Werbung, Medien
und Politik zeigen uns den Weg. Du hörst und liest
das doch überall. Wir sind nun mal eine Kommuni-
kations- und Informationsgesellschaft. Willst du etwa
die neue Zeit verschlafen? Du willst doch verstanden
werden. Da musst du schon aus deinem antiken Mau-
seloch an die reale Luft kriechen.« Und das mir. Das
sagte gerade der Richtige. Konnte sonst gerade mal
fünf Worte zu einem Satz zusammenbasteln und jetzt
ist er der Sprach-Avantgardist. Pah. Bei der Heimfahrt
zwischen Bleibtreustraße und Ehrlichstraße dachte ich
kurz über die Muttersprache nach. Ich hatte so meine
Zweifel, ob es die überhaupt gäbe. So wie heutzutage