Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Christine Stelzer: Reiseführer Deutschlands Osten - Polens Westen, Bd. 2 - page 34

196 Blick in die Geschichte
Die Grenze an Oder und Neiße
Die Grenzen Polens, darunter die an Oder und Neiße, haben die europä-
ische Politik fast das gesamte vergangene Jahrhundert beschäftigt. Die
heutige nachbarschaftliche Normalität zwischen Deutschen und Polen
lässt leicht vergessen, dass ihre gemeinsame Grenze viele Jahre umstrit-
ten war und erst im Resultat des von Nazi-Deutschland angezettelten
ZweitenWeltkriegs die heutige Gestalt gewonnen hat. Für das Verständ-
nis hilfreich ist ein Blick zurück in das vergangene Jahrhundert.
Nach gut zweihundert Jahren der Aufteilung Polens durch Preußen/
später das Deutsche Reich, das Kaiserreich Österreich-Ungarn und
das zaristische Russland erlangten die Polen mit dem Ende des Ersten
Weltkriegs und dem Zusammenbruch besagter europäischer Groß-
mächte ihre Staatlichkeit zurück. Die Grenzen für das unabhängige
Polen wurden 1919 mit demVersailler Vertrag bestimmt. Im Osten sollte
die Grenze entlang der so genannten Curzon-Linie verlaufen. George
Curzon, damaliger britischer Außenminister, orientierte sich bei seinem
Vorschlag an den Siedlungsgebieten von Polen einerseits sowie Weiß-
russen und Ukrainern andererseits. Zu großen Teilen sollte der Bug nun
Grenzfluss sein. Das gerade unabhängige Polen unter der Regierung
von Józef Piłsudski ignorierte Curzons Idee, vielmehr wollte es eine
Wiederherstellung der Polnisch-Litauischen Union von vor 1791. Dieses
Ziel strebte Pilsudski zwischen 1919 und 1921 im Krieg mit dem vom
Bürgerkrieg gebeutelten Sowjetrussland an. Unter Mithilfe Frankreichs
ging Polen aus demWaffengang als Sieger hervor und konnte mit dem
Friedensvertrag von Riga 1921 seine Gebietseroberungen sichern. Teile
Weißrusslands und der Ukraine, Territorien, die über 200 Kilometer
östlich der Curzon-Linie lagen und mehrheitlich vonWeißrussen und
Ukrainern bewohnt waren, wurden Polen einverleibt. Zudem besetzten
Piłsudskis TruppenWilna (Vilnius), imVersailler Vertrag eigentlich
dem ebenfalls gerade unabhängig gewordenen Litauen als Hauptstadt
zugesprochen. Auch imWesten hatten die Siegermächte des ErstenWelt-
krieges den Grenzverlauf neu bestimmt, der die Trennung Ostpreußens
vom deutschen Reichsgebiet mit dem so genannten polnischen Korridor
zur Folge hatte. Die Hafenstadt Danzig erhielt den Status eines Freistaats
unter Oberaufsicht des Völkerbundes, demVorläufer der Vereinten
Nationen.
Im Ergebnis des ZweitenWeltkriegs und den Beschlüssen der alliierten
Siegermächte Sowjetunion, USA und Großbritannien in Potsdam im
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