Steffen Verlag | www.steffen-verlag.de | Thoedor Fontane, Hans-Jürgen Gaudeck: Ein weites Land - page 6

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Eine Übersiedlung nach München – Du wirst das nicht als Undank oder Unge-
zogenheit gegen Deine früh’ren freundlichen Absichten fassen – liegt nicht mehr
innerhalb meiner Wünsche. So vieles mir dort gefallen hat, so sehr fühl ich doch,
daß es auf die Dauer kein Boden für mich wäre. Glänzende Aussichten (d. h.
viel
Geld) würden natürlich meine Sprödigkeit besiegen, aber wie käm ich zu »glän-
zenden Aussichten«, worauf sollten sie
basieren?
Ich weiß es selber nicht, wie soll-
ten es andre wissen! Unter gewöhnlichen, bescheidnen Verhältnissen leb ich aber
doch lieber hier als an irgendeiner andern deutschen Residenz, nur
Wien
könnte
mich verführen, wenn es nicht gerade wiederum Wien wäre. Es ist mir im Laufe
der Jahre, besonders seit meinem Aufenthalte in London, Bedürfnis geworden, an
einem großen Mittelpunkte zu leben, in einem Zentrum, wo entscheidende Dinge
geschehn.Wie man auch über Berlin spötteln mag, wie gern ich zugebe, daß es die-
sen Spott gelegentlich verdient, das Faktum ist doch schließlich nicht wegzuleug-
nen, daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen
Weltbegebenheiten. Es ist mir Bedürfnis geworden, ein solches Schwungrad in
nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, daß es gelegentlich zu dem
bekannten Mühlrad wird.
Brief an Paul Heyse, Berlin, 28. Juni 1860. – Fontane war mit dem bereits in seinen Ber-
liner Jahren ungemein erfolgreichen Schriftsteller (1910 Nobelpreis) befreundet. Dieser
lebte seit 1854, protegiert vom bayerischen König, in München und hatte Fontane ange-
regt, sich bei Maximilian II. um die Stelle des Kgl. Hofbibliothekars zu bewerben. Da­
raufhin hatte sich Fontane Ende Februar 1859 für vier Wochen in München aufgehalten.
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