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Vorwort
Im September
2015
reiste ich mit der »Nordnorge« auf der Hur-
tigruten-Linie von Bergen bis Kirkenes. Im Gepäck wieder mein
zwölffarbiger kleiner Aquarellkasten, zwei Pinsel und genügend
Aquarellpapier.
Eine elftägige Seereise entlang der
2700
Kilometer langen West-
küste Norwegens. Die ideale Form des Reisens auf See, losgelöst
vom üblichen Tourismus, da die Hurtigruten-Schiffe primär die
Versorgung der norwegischen Hafenstädte sicherstellen. Das
Kommen und Gehen an den etwa
50
Häfen, die die Schiffe Tag
und Nacht anlaufen, gibt dem Reisen seine besondere Note. Es ist
ein Hineingleiten in die Küstenwelt Norwegens. Die Ruhe und
relative Unabhängigkeit auf dem »Postschiff« kam meinen Wün-
schen sehr nahe, die Stimmungen der vorbeiziehenden Landschaf-
ten malerisch aufzunehmen. Das Aquarell erwies sich wieder als
eine wunderbare Maltechnik, um Momente, Bildkompositionen
mit gezielt schnellen Pinselstrichen direkt vor Ort festzuhalten.
Es war nicht meine erste Norwegenreise. Den ersten Kontakt
zu diesen grandiosen nordischen Landschaften hatte ich im Jahr
1962
. Damals war ich mehrereWochen in einer Jugendherberge in
Mjølfjell – westlich von Bergen – stationiert. Von dort aus machte
ich Exkursionen mit zwei Geologen, die Gesteinsproben auf den
Hochebenen der Berge entnahmen. Hier erlebte ich auch zum ers-
ten Mal die absolute Stille von Landschaft. Die Plateaus auf den
Bergen hatten keinen Baumbestand, nur flache Steinaushöhlun-
gen, die mit Schneeresten gefüllt waren. Kein Vogellaut, nur ein
leichter Hauch des Windes. In der Weite und Tiefe des Horizonts
der Hardangerfjord – als schmale Wasserrinne erkennbar. Ein un-
vergessliches Naturerlebnis. Hier auf dieser ersten Norwegenreise
entstand auch mein erstes Aquarell. Das Motiv: eine dem Verfall
preisgegebene Hütte. Ein morbides Bauwerk, inmitten der Natur.
Für mich war sie nicht nur ein reizvolles Sujet zumMalen, sondern
zugleich eine Möglichkeit, mich am Aquarellieren zu versuchen.
Seitdem begleiten mich auf Reisen meine Malutensilien.
Die auf dieser Schiffsreise gemalten über
40
Aquarelle entstanden
immer unter demStimmungsbild des Erlebten. Ob es eine besonde-
reWolkenformation war, die über den Inselgruppen lag, ein hinein
ziehender Fjord, eine ruheausstrahlende nordische Stadt oder das
Phänomen der Polarlichter – all diese Augenblicke flossen auf das
Aquarellpapier. Die Texte sind begleitende Erklärungen zu Bild und
Ort des Entstehens.
Obwohl Norwegen von der Bevölkerungszahl her ein kleines Land
ist, wartet es mit bemerkenswerten Schriftstellern, Malern und
Musikern auf. Ich denke an Knut Hamsun, Henrik Ibsen, Bjørnst-
jerne Bjørnson, Trygve Gulbranssen, Sigrid Undset, in der Malerei
an Edvard Munch sowie in der Musik vor allem an Edvard Grieg.
Alle haben eines gemeinsam: Sie geben mit ihrer Kunst diesen
so typisch nordischen Klang wieder, der in der weiten und tiefen
Landschaft Norwegens zu finden ist.
Hans-Jürgen Gaudeck